Zerffi, Gustav (Gusztáv, George Gustavus); Ps. Hohlbrück, Dumont, Piali (1820–1892), Geheimagent, Historiker, Kunsthistoriker und Journalist

Zerffi Gustav (Gusztáv, George Gustavus), Ps. Hohlbrück, Dumont, Piali, Geheimagent, Historiker, Kunsthistoriker und Journalist. Geb. Buda (Budapest, H) (?), vermutl. 21. 5. 1820; gest. Chiswick (London, GB), 28. 1. 1892; röm.-kath. Sohn des Hrsg., Übers. und Sprachlehrers Dr. Julius Stephan Z.; verheiratet mit der Sängerin Josephine Z. – Über Z.s Jugend gibt es keine Informationen. 1839 schien er als Schauspieler in Wien auf, 1844 weilte er kurzfristig in Pressburg, wo er in der „Pannonia“, der literar. Beil. der „Preßburger Zeitung“, publ., 1845 reiste er nach Leipzig, ab 1846 hielt er sich in Pest auf. Z. trat vorerst als eifriger, konservativer Kritiker der Liberalen und des Dichters und Nationalhelden →Sándor Petőfi hervor. Die erste seiner mehrmaligen Wandlungen erfuhr er 1848, als er das programmat. „Nationallied“ von Petőfi ins Dt. übers. Im selben Jahr brachte er auch die populäre Z. „Reform“ heraus, die wenig später in das Bl. „Népelem“ eingebunden wurde. Wegen seiner Aktivitäten musste er jedoch nach Niederwerfung der Revolution emigrieren. Bereits im November 1849 diente er bei der Wr. Geheimpolizei und übermittelte dieser während seiner 16 Agentenjahre fast 2.000 Geheimberr. Die meisten davon betrafen leitende Persönlichkeiten des ung. Exils, so etwa →Lajos Kossuth v. Udvard u. Kossut und →Bertalan Szemere, aber auch wichtige Vertreter der internationalen Emigration (wie z. B. Karl Marx, Gottfried Kinkel, Alexander Herzen). 1861 wählte ihn der Dt. Nationalver. in London zum Sekr., er musste diesen jedoch bald verlassen, da die Mitgl. erkannten, dass Z. bewusst Zwistigkeiten provozierte. Ähnl. Vorfälle beweisen, dass er die inneren Spannungen der internationalen Emigration nicht nur beschrieb, sondern diese auch hervorrief, um die Emigrantengruppe zu spalten. 1865 verlor er sein Wr. Mandat. Bereits einige Jahre zuvor hatte er begonnen, in London dt. Sprache und Literatur zu unterrichten, und 1859 eine dt. Ausg. von Goethes „Faust“ mit engl. Kommentaren veröff. Dabei versuchte Z. Goethe und sein Werk zu „christianisieren“, um beide für den engl. Evangelikalismus annehmbar zu machen. Bald wurde er aber zum „Prediger“ der engl. Säkularisierung. Regelmäßig hielt er Vorträge in der Sunday Lecture Society. Manche von seinen Publ. erweckten großes Interesse, wie z. B. „Spiritualism and Animal Magnetism“ (1871, Reprint 2010). Ab 1868 bis zu seinem Tod unterrichtete Z. auch Geschichte der dekorativen Künste an der National Art Training School (ab 1892 Royal College of Art). 1876 veröff. er „A Manual of the Historical Development of Art“, im Grunde genommen ein hist. Entwurf einer künstler. Rassentheorie und scheinbar auf Hippolyte Taines „Philosophie de l’Art“ und Henry Thomas Buckles „History of Civilization in England“ basierend. 1874 trat Z. der Royal Historical Society bei, wurde zum Ausschussmitgl. gewählt (1880–85 Präs. des Rats) und hielt Vortragsreihen über „Die historische Entwicklung des Idealismus und des Realismus“. 1878 oder 1879 lernte er den Sekr. der japan. Gesandtschaft in London, Suematsu Kencho, kennen, der sich sehr für die Methoden und Errungenschaften der westl. Geschichtsschreibung interessierte und Z. mit der Abfassung einer „Science of History“ (1879, Reprint 2018) beauftragte. 1887 bzw. 1889 veröff. Z. die ersten beiden Bde. seiner „Studies on the Science of General History“, deren letzten Bd. er nicht mehr vollenden konnte.

Weitere W.: s. Frank.
L.: M. Irodalmi Lex. I, II; M. Zsidó Lex.; Szinnyei; Wurzbach; R. Rosdolskyj, in: International Review for Social History 2, 1937, S. 229ff.; J. Numata, in: Historical Writing on the Peoples of Asia 3, ed. W. G. Beasley – E. G. Pulleyblank, 1961, S. 264ff.; A. Momigliano, in: Rivista Storica Italiana 76, 1964, S. 1058ff.; J. Kiss, in: Stud. zur Geschichte der dt.-ung. literar. Beziehungen, ed. L. Magon, 1969, S. 275ff.; J. Kiss, in: Petőfi és kora, ed. S. Lukácsy – J. Varga, 1970, S. 411ff.; T. Frank, Ein Diener seiner Herren. Werdegang des österr. Geheimagenten G. Z. (1820–1892), 2002 (m. W.); F. Graeme Chalmers, in: Art, Culture, and Pedagogy, ed. D. Garnet – A. Sinner, 2019, S. 219ff.
(T. Frank)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 489f.
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