Zifferer, Rosa; geb. Schüler (1851–1911), Funktionärin und Philanthropin

Zifferer Rosa, geb. Schüler, Funktionärin und Philanthropin. Geb. Paderborn, Preußen (D), 19. 9. 1851; gest. Wien, 4. 2. 1911; mos. Tochter von Sara (Selka), geb. Grünebaum, und Simon Schüler (geb. 1818), Kaufmann aus Geseke, später Kaufmann in Paderborn, Bankier und Stadtverordneter in Berlin, Cousine der Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945), Mutter von Else (Elsa) Z. (1874–1965; verheiratet mit →Ernst v. Gotthilf-Miskolczy), Erwin Z. (1876–1929), Apotheker, Hrsg. der „Freien Apotheker-Stimme“ und zwischenzeitl. Leiter der bis heute existierenden Apotheke Zur Mutter Gottes (Wien 10), die unter dessen Sohn Rudolf 1938 arisiert wurde, und dem Juristen Dr. Hans Z. (1883–1929), Tante von →Paul Z.; ab 1872 mit →Donat Z. verheiratet. – Um 1861 zog die Familie nach Berlin, wo Z. ihren späteren Mann kennenlernte, dem sie nach der Heirat nach Wien folgte. Z. gehörte durch ihre bürgerl., wohlhabende Herkunft, ihre Wesensart und die Ehe mit einer bekannten Wr. Persönlichkeit genau zu jenem Personenkreis, aus dem sich v. a. gegen Ende des 19. Jh. die Gründerinnen einer Vielzahl neu entstehender jüd. Frauenwohltätigkeitsver. rekrutierten. Als 1893 vom Präs. des Tempelver. des 9. Bez. Gottlieb Bettelheim, seiner Frau Regine und neun weiteren Frauen der „Frauenhort. Israelitischer Frauen-Wohltätigkeitsverein im Bezirke Alsergrund in Wien“ gegr. wurde, fiel die Wahl auf Z. als erste Präs. Sie leitete den eng mit der IKG verbundenen Frauenhort bis zu ihrem Tod. Die Ziele des Ver. waren zunächst die materielle Hilfe für arme Wöchnerinnen und erwerbsunfähig Gewordene des 9. Bez. sowie die Bekleidung von Schulkindern, etwas später kamen die Ferienkolonien für Arbeiterinnen hinzu. Die Tätigkeit wurde im Laufe der Zeit auf weitere Bez. (v. a. die Leopoldstadt) und in manchen Bereichen schließl. auf das ganze Stadtgebiet ausgedehnt. Hinsichtl. der Mitgl.zahl gehörte der Ver. zu den größten und – gemessen am umgesetzten Volumen – auch erfolgreichsten jüd. Frauenwohltätigkeitsver. Er hatte ab 1905 um die 800 Mitgl., die Mittel (1906 über 42.000 Kronen) wurden hauptsächl. durch Spenden aufgebracht. Als einer von wenigen jüd. Ver. nahm der Frauenhort 1898 an der Jubiläums-Wohlfahrtsausst., 1906 an der Allg. Hygien. Ausst. und 1910 sogar an der Dresdner Hygiene Ausst. teil, verzichtete aber in fortschrittl. Weise auf öff. Zuwendungen, da dies als beschämend empfunden wurde. Große Bekanntheit erlangte er schließl., als er sich von der traditionellen Armenfürsorge hin zu einer längerfristig angelegten, vorsorgenden Wohltätigkeit entwickelte. Das Konzept der Ferienkolonien für Arbeiterinnen wurde durch den Kauf eines eigenen Heims in Sautern bei Seebenstein südl. von Wien auf eine bleibende Grundlage gestellt. Damit konnten jährl. bis zu 150 Arbeiterinnen für vier Wochen im Jahr Erholung finden. Im Juni 1909 wurde das (heute noch als Privathaus existierende) K. Franz-Josef-Arbeiterinnen-Erholungsheim mit einer Rede von →Else Feldmann eröffnet. Das Heim galt als das erste dieser Art in Europa. Als eine der bedeutendsten Philanthropinnen des jüd. Wien nahm Z. eine Reihe weiterer Funktionen wahr: 1898 war sie Mitinitiatorin und erste Vizepräs. des 1900 gegr. und von Charlotte v. Königswarter geleiteten Verbands zur Unterstützung armer israelit. Wöchnerinnen, 1908 wurde sie ins Kuratorium der Zentralstelle für das jüd. Armenwesen gewählt und war externes Mitgl. der Komm. für die Versorgungsanstalt der IKG. Als gute Rednerin sprach sie auch bei der Plenarversmlg. des Ver. zur Hebung der Gewerbe. Wie ihr Gatte eine Vertreterin von Zentralisierungsbemühungen in der Wohlfahrt, scheint ihr knapp vor dem Tod die Zentralisierung eines der Hauptprojekte des Frauenhorts, der Kinderbekleidung, geglückt zu sein. Privat spendete Z. gleichfalls großzügig, an ihren eigenen Ver. (R.-Z.-Jubiläumsstiftung) ebenso wie an andere Institutionen. An Frauenfragen interessiert, gehörte sie zu den Förderinnen des Bunds österr. Frauenver., in dessen Finanzkomm. sie gewählt wurde und zu dessen Gründungsver. der Frauenhort zählte. Sie findet sich unter den Unterzeichnerinnen eines 1906 veröff. Versammlungsaufrufs für das Frauenwahlrecht und war Mitgl. eines Komitees, das an der Gründung eines Frauenclubs arbeitete, dessen Ziel gem. Lektüre, Vorträge und Ideenaustausch war. Als prominente Vertreterin eines liberalen jüd. Bürgertums nahm sie am gesellschaftl. Leben der Zeit teil, wie ihre Mitwirkung am Patronessencomité der Modeausst. beweist. 1909 erhielt sie den Elisabeth-Orden II. Kl.

L.: Die Zeit, 5. 2. 1911; Wr. Bilder 15, 1910, Nr. 8, S. 7f. (m. B.); Der Bund. Zentralbl. des Bundes österr. Frauenver. 6, 1911, Nr. 3, S. 2; Dr. Bloch’s Oesterr. WS 28, 1911, S. 90f.; E. Torggler, Jüd. Frauenwohltätigkeitsver. in Wien von 1867–1914, phil. DA Wien, 1999; E. Torggler, in: Geschlecht, Religion und Engagement. Die jüd. Frauenbewegungen im dt.sprachigen Raum, ed. M. Grandner – E. Saurer, 2005, S. 57ff.; R. Alison, Jewish Women in fin de siècle Vienna, 2008, S. 50; IKG, WStLA, beide Wien; Geheimes Staatsarchiv Preuß. Kulturbesitz, Berlin, LA Nordrhein-Westfalen, Detmold, Stadt- und Kreisarchiv Paderborn, alle D.
(E. Torggler)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 534f.
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