Herz, Norbert (1858–1927), Astronom, Geodät, Lehrer und Mediziner

Herz Norbert, Astronom, Geodät, Lehrer und Mediziner. Geb. Olmütz, Mähren (Olomouc, CZ), 11. 12. 1858; gest. Wien, 31. 1. 1927; bis 1887 mos., ab 1900 röm.-kath. Sohn des Wundarztes Wilhelm Herz und der Rosalia Herz, geb. Kuhner, Vater u. a. des Juristen und Montanisten Wilhelm Herz (geb. Ottakring, Niederösterreich / Wien, 26. 5. 1887; gest. Bochum, Deutsches Reich/D, 17. 4. 1927) und von Theodor Herz (s. u.); ab 1886 bis zur Scheidung verheiratet mit der Volksschullehrerin Gabriele Herz, geb. Blaschke (geb. Bernstein, Ungarn/Burgenland, 22. 1. 1860; gest. Salzburg, Salzburg, 29. 3. 1931, begraben: Wien). – Nach dem Besuch der Oberrealschule in Troppau studierte H. ab 1875 Mathematik und Physik an der Technischen Hochschule in Wien. Daneben hörte er v. a. mathematische und astronomische Vorlesungen an der Universität; 1879 Lehrbefähigungsprüfung für Mathematik und Physik an Oberrealschulen. Zunächst unterrichtete er als Probelehrer an der Oberrealschule am Schottenfeld. 1880 nahm er eine Stelle als astronomischer Rechner bei →Theodor von Oppolzer im österreichischen Gradmessungsbüro an, 1881 wechselte er an die Technische Hochschule in Wien als Assistent zu →Josef Philipp Herr; 1882 Dr. phil. an der Universität Heidelberg. In Oppolzer fand er einen Förderer, der ihn mit →Moritz von Kuffner bekannt machte, den H. in Mathematik unterrichtete. Dabei konnte Kuffner für den Bau einer Sternwarte in Ottakring (Wien 16) nach H.᾽ Plänen gewonnen werden. 1886 wurde die Kuffner-Sternwarte, deren Leitung H. übernahm, eröffnet; 1887 ao. Professor für Astronomie und höhere Geodäsie. Zu seinen Hauptaufgaben zählten die Inbetriebnahme des Großen Refraktors und des Meridiankreises. H.᾽ Karriere erlitt jedoch durch den unerwarteten Tod Oppolzers und den damit verbundenen Verlust seines Förderers einen tiefen Rückschlag. Auch die Freundschaft zu Kuffner zerbrach und H. musste die Sternwarte 1891 verlassen. Bemühungen um Anstellungen im Schuldienst scheiterten. 1892 arbeitete er kurzfristig im Bureau der k. k. Statistischen Central-Commission, 1893 ging er an das Navy Department, Abteilung Nautical Almanac nach Washington, D.C., wo er unter dem Astronomen und Mathematiker Simon Newcomb tätig war. Angriffe gegen Newcomb wegen H.᾽ Staatsbürgerschaft veranlassten jedoch seine Rückkehr nach Österreich. Nach erneut erfolglosen Versuchen, als Lehrer zu arbeiten, studierte H. 1895–99 Medizin an der Universität Heidelberg; 1899 Dr. med. 1900 legte er in Detroit das amerikanische Arztexamen ab, fungierte kurze Zeit an einer Poliklinik und versuchte dann eine eigene Praxis zu eröffnen. Finanzielle Schwierigkeiten veranlassten jedoch seine erneute Rückkehr nach Österreich. 1900 wirkte er als Supplent für Mathematik und Physik am Staatsgymnasium in Wien 8, 1901 unterrichtete er an der Oberrealschule in Wien 15, ab 1902 am Franz-Joseph-(Real-)Gymnasium. Daneben habilitierte sich H. 1904 an der Universität Wien für Astronomie und Geodäsie. 1911 legte er die Privatdozentur zurück, da sein ehemaliger Assistent →Samuel Oppenheim das Ordinariat für theoretische Astronomie erhielt. 1913 wurde er als Lehrer pensioniert. Im 1. Weltkrieg diente H. zwei Jahre lang als Militärarzt in Kriegsgefangenenlagern und in Reservespitälern. Vergeblich bemühte er sich nach dem Krieg um eine Anstellung als Universitätslehrer oder in anderer wissenschaftlicher Funktion. Sein Œuvre war vielseitig. H. verfasste ein „Lehrbuch der Landkartenprojektionen“ (1885, Nachdruck 2011) sowie ein „Lehrbuch der mathematischen Geographie“ (1906), ferner sind die zweiteilige „Geschichte der Bahnbestimmung von Planeten und Kometen“ (1887–94) und „Wahrscheinlichkeits- und Ausgleichsrechnung“ (1900, Nachdruck 2013, 2015) erwähnenswert. Kometenbestimmungen zählen genauso zu seinem Werk wie Artikel über die Mechanik des Himmels oder die Theorie der Präzession und Nutation. In den letzten Lebensjahren befasste er sich mit der Theorie der Linsensysteme ebenso wie mit der Geschichte europäischer Länder an Hand von Originaldokumenten, wobei er besonders das Elsass eingehend behandelte. Darüber hinaus verfasste er populärwissenschaftliche Arbeiten für die „Österreichische Touristenzeitung“ und hielt Vorträge u. a. in der Wiener Urania. H., der in seiner beruflichen Karriere vielfach auf Widerstand stieß und als instabile Persönlichkeit galt, starb völlig vereinsamt. Sein Sohn, der Mediziner Theodor Herz (geb. Wien, 16. 4. 1891; gest. Posadas, AG, 1973; mos., ab 1900 röm.-kath.), verheiratet mit Rosa Herz, geb. Drucker, studierte nach dem Besuch des Gymnasiums ab 1909 an der philosophischen Fakultät der Universität Wien v. a. Mathematik, Chemie und Physik. 1910 wechselte er an die medizinische Fakultät; 1915 Dr. med. Ab 1919 führte er eine ärztliche Praxis in Piesendorf im Bezirk Zell am See und wurde im selben Jahr auch als Gemeindearzt von Kaprun bestellt. Im Juni 1938 wurde der Vertrag mit der Krankenversicherungsanstalt der Bundesangestellten gelöst, Theodor H. als Sprengelarzt entlassen und aus seiner Wohnung gewiesen. Ende November 1938 wanderte er mit Frau und Tochter Martha über Genua nach Argentinien aus. Theodor H. siedelte sich in der Provinz Misiones an, wo es zulässig war, ohne Nostrifikation der Ausbildung zu ordinieren, sofern kein anderer Arzt im Umkreis zur Verfügung stand. Nachdem er einige Jahre in Bonpland praktiziert hatte, zog er 1942 mit seiner Frau nach Colonia Martires, wo er als einziger Arzt bis 1972 ordinierte. Er genoss sowohl in Österreich als auch in Argentinien einen ausgezeichneten Ruf als Mediziner, war aber auch für seine Menschlichkeit und sein soziales Engagement als Armenarzt bekannt.

Weitere W.: s. Eisenberg; Inauguration; Andres.
L.: Czeike; Eisenberg 2 (mit W.); Inauguration Univ. Wien 1927/28, 1927, S. 29ff. (mit W.); Poggendorff 4–6; H. Kobold, in: Astronomische Nachrichten 230, 1927, S. 77ff.; L. Andres, in: Österreichische Zeitschrift für Vermessungswesen 25, 1927, S. 1ff. (mit W.); W. W. Weiss, Die Kuffner-Sternwarte, 1984, S. 12; D. Angetter – N. Pärr, Blick zurück ins Universum, 2009; K. M. Staudigl-Ciechowicz, Das Dienst-, Habilitations- und Disziplinarrecht der Universität Wien 1848–1938, 2017, S. 755f.; Pfarre Maria Treu, UA, beide Wien. – Theodor H.: Salzburger Nachrichten, 22. 12. 2018; M. Effenberger, Heimatbuch Piesendorf, 1990, S. 224; Pfarre Maria Treu, UA, WStLA, alle Wien; Mundartarchiv – Kulturverein Samerstall, Niedernsill, Pfarre Piesendorf, Salzburger Landesarchiv, alle Salzburg; Mitteilung Martha Herz de Torn, Buenos Aires, AG (gest.).
(D. Angetter – A. Jakober)  
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 9, 1959), S. 295f.
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