Schmerling, Anton von (1805-1893), Ministerpräsident

Schmerling Anton von, Staatsmann. Geb. Wien, 23. 8. 1805; gest. ebenda, 23. 5. 1893. Sohn eines Appellationsrats, Bruder des Folgenden, des Mediziners Rainer v. S. und des Juristen Moriz v. S. (beide s. unten); stud. 1821–24 Phil., 1824–28 Jus an der Univ. Wien, 1830 Dr. jur.; im selben Jahr Auskultant beim Landrecht in Wien, wurde er 1842 Rat und 1846 Appellationsrat. Als ständ. Verordneter (ab 1847) quittierte er den Staatsdienst. Am 13. 3. 1848 vertrat er als Mitgl. eines ständ. Ausschusses liberale Forderungen und wurde nach dem Erfolg der Märzrevolution Organisator der Nationalgarde in Wien. Bald darauf österr. Präsidialgesandter des Bundestags, schloß er sich als Abg. (der Stadt Tulln) in der Frankfurter Paulskirche dem rechten Zentrum (Kasino) an und leistete wesentliche Verfassungsarbeit im „Siebzehner-Ausschuß“. Noch 1848 wurde er dt. Reichsminister für Inneres, kurzfristig Ministerpräs. und Minister desÄußeren und trat als solcher gegen die preuß. Hegemonie auf. 1849 schied S. aus der dt. Nationalversmlg. aus, da er den österr. Standpunkt nicht erfolgreich vertreten konnte. 1849–51 Justizminister der österr. Regierung Schwarzenberg, trat er auch hier im Zusammenhang mit dem verschärften Neoabsolutismus zurück und wurde Senatspräs. des Obersten Gerichtshofs und Geh. Rat. 1858 stieg er zum Präs. des Oberlandesgerichts in Wien auf. Mit der Liberalisierung Österr. nach der Niederlage im Krieg gegen Frankreich und Piemont-Sardinien begann die zweite polit. Karriere S. s: 1860 wurde er Ministerpräs. der ersten „pseudoliberalen Regierung“. Zwar wurde er in dieser Funktion von Erzh. Rainer Ferdinand (s. d.) 1861 abgelöst, doch blieb er als Staatsminister der einflußreichste Politiker. Mit dem Februarpatent, dem Protestantenpatent (beide 1861) und der Menschenrechtserklärung (1862) setzte diese Regierung wesentliche Marksteine in der Liberalisierung der Habsburgermonarchie. Konflikte mit seinen polit. Gegnern, bes. den Föderalisten unter F. v. Deák (s. d.), führten 1865 zu seiner Demission. S. blieb bis 1891 Präs. des Obersten Gerichtshofs. 1867 Mitgl. des Herrenhauses, wurde er 1868 zu dessen Vizepräs. und 1871 zum Präs. gewählt. 1873, 1875, 1879 und 1891 war er Präs. der Delegation bei den österr.-ung. Ausgleichsverhandlungen. 1862 wurde er Ehrenmitgl. der Akad. der Wiss. S. trat jahrzehntelang auch als Förderer derErsten Österr. Spar-Casse hervor. Er war ab 1835 mit der Malerin Pauline Freiin v. Koudelka (s. d.) verheiratet. Sein Bruder Rainer v. S. (geb. Wien, 1. 5. 1810; gest. ebenda, 5. 2. 1892) stud. 1827–32 Med. an der Univ. Wien, 1834 Dr. med. und chir., Mag. ophth.; 1848 Leibarzt von Erzh. Albrecht (s. d.), arbeitete S. 1849 und 1859 in Militärspitälern und begleitete 1866 den Erzh. auf den italien. Kriegsschauplatz. 1874 wurde S. zum Präs. des Wr. medizin. Doktorenkollegiums gewählt. Sein jüngster Bruder, Moriz v. S. (geb. Wien, 17. 5. 1822; gest. ebenda, 16. 2. 1882), besuchte in Wien das Akadem. Gymn., absolv. 1838–40 die philosoph. Jgg. und stud. 1840–44 Jus, 1846 Dr. jur. Er trat 1850 in den Staatsdienst ein, wurde 1854 Staatsanwalt in Korneuburg, 1857 LGR in Wien, 1866 OLGR. 1870 als Min.Rat ins Min. des Innern berufen, wurde er 1876 Rat des neuerrichteten Verwaltungsgerichtshofs und erhielt 1878 Titel und Charakter eines Senatspräsidenten.

L.: N. Fr. Pr. vom 24.–26. 5., 18. 6. 1893 und 26. 2. 1901; Monatsbll. des wiss. Club in Wien 14, 1893, S. 81ff.; Almanach Wien 43, 1893, S. 243ff. (mit Bild); J. Redlich, in: Österr. Rundschau 19, 1909, S. 79ff.; P. Molisch, in: Archiv für österr. Geschichte 116, 1944, S. 1ff.; F. Fellner, in: MIÖG 63, 1955, S. 549ff.; P. Wrabetz, in: Freie Argumente 10, 1983, S. 203ff.; ADB; Biograph. Lex. Südosteuropas; Hahn, 1867, 1873, 1879, 1891; Wurzbach; A. Arneth, A. Ritter v. S., 1895; F. Thausing, 100 Jahre Sparkasse, 1919, passim; H. v. Srbik, Dt. Einheit 3–4, 1942, s. Reg.; M. Martikan, Krit. Untersuchungen der Memoiren Ritter A. v. S., phil. Diss. Wien, 1955; H. Slunecko, S. und das Parlament, phil. Diss. Wien, 1954; G. Franz, Liberalismus. Die dt. liberale Bewegung in der Habsburg. Monarchie,1955, s. Reg.; R. Lorenz, in: Gestalter der Geschicke Österr. ( = Stud. der Wr. Kath. Akad. 2), 1962, S. 407ff.; UA Wien. – Rainer v. S.: Mitth. des Wr. medicin. Doctoren-Collegiums 18, 1892, n. 5, S. 1ff.; C. v. Duncker, FM Erzh. Albrecht, 1897, S. 217, 275, 290. – Moriz v. S.: Wr. Ztg. vom 16. und 18. 2. 1882 (beide Abendausg.); Jurist. Bll. 11, 1882, S. 91; UA Wien. Mitt. H. Reitterer und C. Roithner, beide Wien.
(K. Vocelka)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 48, 1992), S. 234f.
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