Stehlin, Sebastian (1800–1877), Musiktheoretiker und Technologe

Stehlin Sebastian, CSsR, Musiktheoretiker und Technologe. Geb. Niederhausen, Baden (Rheinhausen, Dtld.), 14. 2. 1800; gest. Hernals, NÖ (Wien), 26. 4. 1877; röm.-kath. Sohn eines Off., Bruder von Stanislaus (Johann Nep.) S. (s. u.). S. kam mit 18 Jahren nach Wien und war Geselle bei dem Blasinstrumentenmacher K. Tauber in Wien-Leopoldstadt (Wien 2). 1824 trat er in die Kongregation der Redemptoristen ein, legte 1826 die Profeß als Laienbruder ab und wirkte an der Kirche Maria am Gestade als Organist und Chorregent. Nach der im Zusammenhang mit der Wr. Revolution von 1848 erfolgten Ausweisung der Redemptoristen aus Wien wurde S. von Erzhg. Maximilian Josef (s. d.) als Werksleiter von dessen zur großindustriellen Verwertung (Asphaltgewinnung) der Ölschiefervorkommen um Seefeld gegr. „Maximilianshütte“ angestellt, die unter ihm 1850–55 ihre Blütezeit erlebte. U. a. vervollkommnete S. deren Schwefel-Einrichtungen, kaufte 1852 Torflager bei Seefeld, um die teure Holzfeuerung durch Torffeuerung zu ersetzen, und errichtete eine Dachpappenfabrik in Hall (Hall in Tirol). Ab Beginn der 1860er Jahre lebte er als erzherzogl. Rechnungsrevident, dann als Pensionist in Wien. Von Sechter und bes. R. G. Kiesewetter v. Wiesenbrunn (beide s. d.) gefördert, hatte S. schon in seiner Zeit als aktiver Musiker in Wien ausgedehnte hist. und experimentelle Stud. auf dem Gebiet des Choraltonsystems betrieben, dessen Echtheit er im mehrstimmigen Satz, v. a. Palestrinas, suchte. Seine darauf beruhende, von der tatsächl. ursprüngl. Form völlig verschiedene Theorie des Chorals propagierte er, gestützt auf die Zustimmung von Kiesewetter und Sechter, in zahlreichen Schriften. Von der übrigen Fachwelt, u. a. von Harasser (s. d.), wurde diese, zu Recht abgelehnt. Er ist jedoch „als einer der Vorkämpfer für die Choralrestauration im 19. Jahrhundert“ (Toeda) anzusehen. Sein Bruder Stanislaus (Johann Nep.) S., CSsR (geb. Niederhausen, 14. 1. 1806; gest. nach 1864; röm.-kath.) erlernte in Wien den Messinginstrumentenbau, trat 1826 ebenfalls in die Redemptoristen-Kongregation ein und kam 1827 in deren neugegr. Kloster in Innsbruck, in dem er bis 1864 als Mesner und Chorregent tätig war.

W.: Kirchenmusik. – Publ.: Tonarten des Choralgesanges nach alten Urkunden …, 1842; Musikal.-literar. Notizen aus dem Mittelalter, gegenüber gestellt den sog. griech. Tonarten, in: Oesterr. Bll. für Literatur und Kunst 2, 1845, S. 141ff.; Die Naturgeschichte im Tonreiche und das europ. abendländ. Tonsystem vom VII. Jh. bis auf unsere Zeit …, 1852; Die neueren Schicksale des alten Choralgesanges, 1857; Ueber den Umsturz des alten Tonsystems, in: Bote für Tirol, 6., 8., 19. 11. 1858; Chorallehre nach den Grundgesetzen des mittelalterl. Tonsystems …, 1859; Der eigentl. Werth und die Ursachen der vorkommenden Werthlosigkeit des Asphalts im Baumateriale, 1860; Das musikal. Alterthum und die modernen Diatoniker, in: Neue Wr. Musikztg. 9, 1861, Nr. 47ff.; Anleitung zur Behandlung und Beurteilung einer Orgel, 1861 (mit 28 Präludien und 12 Zwischenspielen von S. Sechter); etc. – Stanislaus S.: 8 Marienlieder …, 1863 (für gemischten Chor und Orgel); etc.
L.: Wurzbach; Caecilia 22, 1843, S. 78ff.; Kath. Bll. aus Tirol 11, 1853, S. 209f., 16, 1858, S. 282, 17, 1859, S. 67; A. Tuma, in: Österr. Schulbote 9, 1859, Nr. 24f., 27, 31ff.; U. Kornmüller, Lex. der kirchl. Tonkunst, 1895; H. Falser, in: Tiroler Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart 1 (= Schlern-Schriften 77), 1951, S. 123, 129ff., 133f.; H. Kier, R. G. Kiesewetter … (= Stud. zur Musikgeschichte des 19. Jh. 13), 1968, s. Reg.; M. Toeda, Handschriftl. überlieferte Choralschulen des 19. Jh. in Österr., phil. Diss. Wien, 1988, s. Reg.; Archiv der Österr. Prov. der Redemptoristen, röm.-kath. Pfarramt Hernals, beide Wien. – Stanislaus S.: Tiroler Stimmen, 5. 4. 1862; P. E. Hosp, Erbe des hl. Klemens Maria Hofbauer, 1953, S. 175, 214; Hauschronik, Redemptoristenkolleg, Innsbruck; Archiv der Österr. Prov. der Redemptoristen, Wien.
(H. Reitterer – P. A. Schedl)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 142
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