Wagner, Otto Koloman (1841–1918), Architekt

Wagner Otto Koloman, Architekt. Geb. Penzing, NÖ (Wien), 13. 7. 1841; gest. Wien, 11. 4. 1918 (Ehrengrab: Friedhof Wien-Hietzing); röm.-kath., 1884 anlässl. der 2. Eheschließung Übertritt zur unitar. Kirche, ab 1889 wieder röm.-kath. Sohn des kgl. ung. Hofkanzlisten Simeon W. (1800–1846) und der Susanne W., geb. Huber, adoptierte Helferstorfer (1804–1880), Vater von Otto Emerich W. (s. u.); nach längerer Beziehung (ca. 1863–66) mit der Braumeisterstochter Sofie Paupie ab 1867 in 1. Ehe mit Josefine Domhart (1847–1889), ab 1884 in 2. Ehe mit Louise Stiffel (1855–1915) verheiratet. – Nach Besuch des Gymn. stud. W. 1857–59 am Wr. polytechn. Inst., 1860–61 an der Bauakad. in Berlin bei Carl Ferdinand Busse und 1861–63 an der ABK in Wien bei →Eduard van der Nüll und →August Sicard v. Sicardsburg. Parallel dazu absolv. er eine Maurerlehre beim Stadtbaumeister Philipp Brandl. 1862 trat er in das Atelier Heinrich v. Försters ein und war ab 1864 als Privatarchitekt in Wien tätig. 1894–1912 wirkte er als Prof. und Leiter einer der beiden Spezialschulen für Architektur an der ABK in Wien, 1912/ 13 Supplierung, 1913–15 Hon.prof.; 1910/11 Prorektor. W. begann seine Karriere unter dem Eindruck der großen Bauprojekte an der Wr. Ringstraße, zeigte aber schon früh – wohl auch unter dem Einfluss van der Nülls und Sicard v. Sicardsburgs – einen betont individuellen Zugang zum Repertoire des Historismus. Wichtige Vorbilder waren außerdem Karl Friedrich Schinkel, →Gottfried Semper und →Theophil Frh. v. Hansen. In den 1860er- und 1870er-Jahren nahm W. an zahlreichen großen Wettbewerben im In- und Ausland teil und machte sich durch seine raffiniert in Szene gesetzten Präsentationsbll. einen Namen. Durch den Entwurf des k. Festzelts für den Festzug der Gmd. Wien zur Silberhochzeit des K.paars 1879 auf der Ringstraße und die Festdekoration zum Einzug von Prinzessin Stephanie von Belgien (→Stephanie Fürstin Lónyay v. Nagylónya u. Vásárosnamény) 1881 wurde er auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. 1880 vollendete er das Idealprojekt „Artibus“, ein Forum der Künste, das Anleihen beim „Kaiserforum“ Sempers und →Carl Frh. v. Hasenauers nahm. Einen Wendepunkt in W.s Schaffen markierte das Gebäude der Länderbank (1882), das in der Logik des Grundrisses, der Raumdisposition und durch den gezielten Einsatz von Eisen als Baumaterial neue Maßstäbe setzte. Durch die Auseinandersetzung mit Fragen des öff. Verkehrs in der Großstadt im Rahmen des Gen.regulierungsplans von Wien (1892/93) war W. prädestiniert für die künstler. Gestaltung der Bauten der Wr. Stadtbahn, ein Großauftrag, der ihn ab 1894 für mehrere Jahre beschäftigte. W. prägte mit seinen Verkehrsbauten den Stadtraum und demonstrierte zugleich seinen Anspruch, als Architekt das Gebiet des Ing. zu erobern, die neue Kunstform aus der Konstruktion zu entwickeln. Dem Eisen kam dabei in konstruktiver wie auch ästhet. Hinsicht eine zentrale Bedeutung zu. Ab 1894, als W. die Professur an der Wr. Akad. antrat, stand er im ständigen Austausch mit seinen Schülern, von denen er die besten als Ateliermitarb. engagierte. Die Rezeption des westeurop. Art nouveau, wie sie sich in den 1898 errichteten Stadtbahn-Pavillons am Karlsplatz und den Wohnhäusern an der Wienzeile zeigt, lässt sich auf den Einfluss der um Jahrzehnte jüngeren Schüler und Mitarb. – allen voran →Josef Maria Olbrich – zurückführen und war zugleich das Zeichen für die endgültige Abkehr von den Stilen der Vergangenheit. Nicht zuletzt durch seine Lehrtätigkeit und das Wirken seiner Schüler erstreckte sich W.s künstler. Einfluss auf große Tle. der Monarchie und bis weit ins 20. Jh. hinein. Die Grundzüge einer auf Zweck, Material und Konstruktion basierenden, vom Primat der hist. Stile befreiten Ästhetik vermittelte W. 1896 in seinem Buch „Moderne Architektur“, das mehrere Aufl. erlebte. 1897–99 präsentierte W., meist aus eigenem Antrieb, mehrere aufwendige Projekte – Neubau der ABK, Kirche für Währing, Vollendung der Hofburg, Neubau der Kapuzinergruft, Moderne Galerie (Wien 1) –, in denen er die Eignung und die Notwendigkeit des modernen „Nutzstils“ für monumentale Bauaufgaben demonstrierte. 1900 entstand das erste Projekt für ein K.-Franz-Joseph-Stadtmus. am Karlsplatz – ein Plan, der W. die nächsten zehn Jahre begleiten sollte, ehe er von den konservativen Gegnern zu Fall gebracht wurde. Die Kirche am Steinhof (1902–07, Wien 14) und die Postsparkasse (1903–10, Wien 1) markierten den Höhepunkt von W.s Schaffen. An die Stelle des schwerfälligen Steinbaus tritt hier eine Verkleidung mit Marmorplatten, die durch metallene Bolzen symbol. im Ziegelmauerwerk verankert werden. Formale Lösungen werden konsequent aus der Funktion entwickelt bzw. funktional legitimiert, auf konventionelles Ornament wird verzichtet. Während die Kirche am Steinhof die jahrtausendealten Prinzipien des Sakralbaus konsequent in die Moderne tradiert, wird das Postsparkassengebäude von einer Ästhetik des Techn. bestimmt. Nach diesen Hauptwerken konnte W. aufgrund des zunehmend konservativen Klimas nur mehr wenige Bauten, darunter die Lupusheilstätte (1908–13) und Mietshäuser in der Neustift- und Döblergasse (1909–11) sowie eine Villa in Hütteldorf (1912), realisieren, die in der konsequenten und radikalen Abstraktion der gestalter. Mittel bereits auf die Architektur der 1920er-Jahre vorausweisen. W., der mit seinem international schon zu Lebzeiten vielbeachteten Werk wohl am klarsten den Umbruch vom Historismus zur Moderne vollzog, war einer der bedeutendsten Baukünstler in der Geschichte Wiens und gilt heute als Pionier der modernen Architektur des 20. Jh. Er war ab 1895 Mitgl. der Ständigen Kunst-Komm. und des Kunstrats des Min. für Kultus und Unterricht, u. a. Ehrenmitgl. und k. M. des Royal Inst. of British Architects (1892), Ehrenmitgl. der Société Centrale d’Architecture de Belgique, k. M. der Société centrale des architectes français und ab 1894 Oberbaurat. 1898 erhielt er den Orden der Eisernen Krone III. Kl., 1901 das Off.kreuz der französ. Ehrenlegion, 1907 das Komturkreuz des Franz Joseph-Ordens; 1912 HR, 1917 Dr. h. c. der TH Dresden. Teilnachlässe befinden sich in der ABK, im MAK und in der Wienbibl. im Rathaus. W.s unehel. Sohn mit Sofie Paupie, der Architekt Otto Emerich W., geb. Paupie, ab 1882 Wagner (geb. Wien, 28. 8. 1864; gest. Pfarrkirchen, D, 28. 8. 1945; röm.-kath.), wurde 1882 legitimiert. Er war der Schwiegervater des Kunsthistorikers Ludwig Baldass; ab 1898 verheiratet mit Paula Schmeidler. Otto Emerich W. stud. 1886/87 an der TH Wien, absolv. anschließend seine Praktika und arbeitete tw. bei seinem Vater. Daneben wirkte er auch selbstständig; zu seinen Arbeiten zählen die Villa Schmeidler (1901, Wien 13) sowie mehrgeschossige Mietshäuser (1902–04, Wien 4). Nach Zwischenstationen in Graz und Berlin kehrte er 1914 nach Wien in das Büro seines Vaters zurück, das er nach dessen Tod weiterführte. Nach dessen Auflösung aufgrund der schlechten Wirtschaftslage fungierte er 1920–27 als Dir. des Wohnungsfürsorge-Ver. für Stmk. in Graz, ab 1928 war er in Wien und Dtld. tätig.

Weitere W.: s. Einige Skizzen, Projekte u. ausgeführte Bauwerke, 4 Bde., 1889–1922; O. A. Graf, O. W., 7 Bde., 1985–2000; Architektenlex. – Publ.: Zur Kunstförderung, 1909; Die Groszstadt, 1911; Die Qualität des Baukünstlers, 1912; Wien nach dem Kriege, in: NFP, 7. 4. 1917; Die Baukunst unserer Zeit, ed. E. Winkler, 2008.
L.: NFP, 12., WZ, 14. 4. 1918; D. Frey, in: NÖB 1, 1923, S. 178ff.; Thieme–Becker; Wurzbach; J. A. Lux, O. W., 1914; A. Hofmann, in: Dt. Bauztg. 52, 1918, S. 189ff., 197ff.; O. v. Leixner, in: ZÖIAV 71, 1919, S. 2ff. (m. B.), 19ff., 25ff.; H. Tietze, O. W., 1922; D. Frey, in: O. W., Einige Skizzen, Projekte u. ausgeführte Bauwerke 4, 1922, S. 59ff.; H. Ostwald, O. W. …, techn. Diss. Zürich, 1948; E. Pirchan, O. W. …, 1956; O. A. Graf, O. W. 1882, phil. Diss. Wien, 1963; H. Geretsegger – M. Peintner, O. W. 1841–1918 ..., Neuaufl. 1983; P. Asenbaum u. a., O. W. Möbel und Innenräume, 1984; Die Kunst des O. W., ed. G. Peichl, Wien 1984 (Kat.); P. Haiko, O. W. und das K.-Franz-Josef-Stadtmus., Wien 1988 (Kat.); G. Kolb, O. W. und die Wr. Stadtbahn, 2 Bde., 1989; R. Trevisiol, O. W., 1990; O. W. Reflections on the raiment of modernity, ed. H. F. Mallgrave, 1993; W. Oechslin, Stilhülse und Kern. O. W., A. Loos und der evolutionäre Weg zur modernen Architektur, 1994; D. Frisby, Metropolitan Architecture and Modernity. O. W. in Context, phil. Diss. Glasgow, 1998; H. F. Mallgrave, O. W., 2010; O. W., ed. A. Nierhaus – E.-M. Orosz, Wien 2018 (Kat., m. B.); Architektenlex. Wien 1770–1945 (m. B. u. W., online, Zugriff 2. 10. 2017); ABK, Wien. – Otto Emerich W.: H. Weihsmann, In Wien erbaut, 2005; Architektenlex. Wien 1770–1945 (online, Zugriff 2. 10. 2017); Pfarre Wieden, TU, beide Wien.
(A. Nierhaus)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 412ff.
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