Ackermann, Manfred; Ps. Karl Stein (1898–1991), Politiker und Funktionär

Ackermann Manfred, Ps. Karl Stein, Politiker und Funktionär. Geb. Nikolsburg, Mähren (Mikulov, Tschechien), 1. 11. 1898; gest. Wien, 16. 6. 1991; mos., ab 1926 konfessionslos. Sohn des Wolf Ackermann, Borstenarbeiter (geb. Jaworów, Galizien / Javoriv, Ukraine, 13. 3. 1859; gest. Wien, 26. 12. 1933) und der Elisabeth (Elise, Ettel) Ackermann, geb. Leist (geb. um 1860; gest. Wien, 24. 10. 1930); ab 1926 verheiratet mit Paula Ackermann, geb. Popp (geb. Wien, 20. 6. 1901; gest. 1983). – Die Familie übersiedelte 1899 nach Wien-Leopoldstadt, wo Ackermann die Volks-, Bürger- und später die Handelsschule besuchte. Nach einer kurzen Tätigkeit in einem Kohlengroßhandelsbetrieb wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Ab Herbst 1918 war Ackermann Mitglied des Wiener Volkswehrbataillons Frey, später arbeitete er als Buchhalter. Aufgrund seiner Bekanntschaft mit Max Kreisky, dem Vater des späteren Bundeskanzlers Bruno Kreisky, trat er 1916 in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) der Brigittenau ein. Als glänzender Redner und kluger Organisator avancierte Ackermann bald zu einem wichtigen sozialdemokratischen Jugendfunktionär. 1922–25 wurde er zu einem führenden Aktivisten der Wiener Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ), der Schülerrätebewegung sowie Mitglied des SAJ-Bundesvorstands. Ab 1923 arbeitete er bei der „Österreichischen Angestellten-Zeitung“ des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten, später übernahm er die Leitung des Jugendsekretariats des Zentralvereins und fungierte als Redakteur der vereinseigenen Zeitschrift „Der Praktikant“. 1932 wirkte Ackermann als Mitbegründer der sozialdemokratischen Parteiorganisation Jungfront. Nach den Ereignissen des Februar 1934 stieg er zum führenden Mitglied der Revolutionären Sozialisten (RS) auf und blieb bis zu seiner Verhaftung im März 1934 erster Vorsitzender des Zentralkomitees der RS. Nach dreimonatiger Polizeihaft wurde Ackermann bis Jahresende 1934 im Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Danach setzte er seine Tätigkeit im Zentralkomitee der RS fort und widmete sich der Betriebszellenarbeit. Nach erneuter Festnahme im November 1937 und dreimonatigem Polizeigewahrsam wurde er im Februar 1938 wieder freigelassen und koordinierte gemeinsame Widerstandsmaßnahmen von RS und KPÖ gegen den „Anschluss“. Als Sozialist und Jude doppelt bedroht, flüchtete Ackermann kurz nach dem Anschluss über die italienische Grenze und hielt sich daraufhin in der Schweiz und in Frankreich auf. Als Teilnehmer an der Gründungskonferenz der Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten (AVOES) in Brüssel im April 1938 organisierte er Fluchtmöglichkeiten für österreichische Parteigenossen in die Schweiz. Ab Juni 1938 hielt sich Ackermann gemeinsam mit seiner Familie in Paris auf und wurde 1939 in den Anhaltelagern Colombes und Montargis interniert. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs gelang ihm über Spanien und Portugal die Ausreise in die USA, wo er gemeinsam mit seiner Familie 1940 in New York ankam. Seine Schwester Malwine, deren Ehemann sowie eine Schwägerin wurden indes in der Shoah ermordet. In New York fand er zunächst eine Anstellung als Hilfsarbeiter in einer Herrenkleiderfabrik und engagierte sich bald in der Textilarbeitergewerkschaft Amalgamated Clothing Workers of America (ACWA), ab 1953 als deren hauptamtlicher Sekretär. 1942 fungierte er als Mitgründer und leitender Funktionär der Exilorganisation Austrian Labor Committee (später American Friends of Austrian Labor). Nach seiner Pensionierung 1964 kehrte Ackermann gemeinsam mit seiner Frau nach Wien zurück, wo er Schulungsaufgaben und Vortragstätigkeiten in sozialdemokratischen Bildungseinrichtungen wahrnahm. Ab 1966 fungierte er als Ehrenvorsitzender des Bunds Sozialistischer Freiheitskämpfer. Als Zeitzeuge engagierte er sich im Antifaschistischen Jugendkontaktkomitee sowie durch Vorträge an Volkshochschulen. Einige Reden Ackermanns, der sich selbst nicht als „Mann der Feder“, sondern als „Agitator, Lehrer und Erzieher“ verstand, erschienen in Aufsatzform. Zeitlebens ein Bewunderer →Otto Bauers, wirkte er im Herausgeberkomitee von dessen Werkausgabe (1975–80) mit. Ackermann erhielt u. a. 1969 das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 1973 den Professorentitel sowie 1978 das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs.

W. (unter Ps.): Die politische Betriebsarbeit der R. S., in: Der Kampf. Internationale Revue 3, 1936, Nr. 8; Erziehung zum Menschenbewußtsein, 1988.
L.: AZ, 5. 11. 1988 (mit Bild); O. Leichter, Zwischen zwei Diktaturen, 1968, s. Reg.; D. Wagner – G. Tomkowitz, „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“, 1968, S. 97f.; J. Buttinger, Das Ende der Massenpartei, 1972, S. 134; W. Neugebauer, Bauvolk der kommenden Welt, 1975, s. Reg.; E. Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung, 1978, S. 141; P. Pelinka, Erbe und Neubeginn, 1981, S. 287ff.; M. Marschalek, Untergrund und Exil, 1990, s. Reg.; Manfred Ackermann zum 100. Geburtstag, ed. P. Lhotzky, 1998 (mit Bild); P. Schölnberger, Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938, 2015, s. Reg.; Archiv des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wien.
(Georg Spitaler)   
Zuletzt aktualisiert: 15.7.2024  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 12 (15.07.2024)