Adler Bruno Maria, Ps. Urban Roedl, Schriftsteller, Journalist und Verleger. Geb. Karlsbad, Böhmen (Karlovy Váry, Tschechien), 14. 10. 1888; gest. London (Vereinigtes Königreich), 27. 12. 1968; mos. Sohn von Moritz Adler (geb. Pochlowitz bei Falkenau, Böhmen, 1864; gest. Karlsbad, 8. 3. 1928), Redakteur („Volkswille“, „Der Strom“) sowie Landtagsabgeordneter, und von Therese Adler, geb. Hirsch (geb. 1866), Vater des Architekten und Redakteurs Florian Adler (1921–1998); ab 1918 in 1. Ehe verheiratet mit der Malerin und Graphikerin Margit Adler, geb. Tery (geb. 12. 11. 1892; gest. 18. 3. 1977), in 2. Ehe ab 1928 mit Ilse Adler, geb. Katz (geb. Schwedt, Deutsches Reich / Schwedt an der Oder, Deutschland, 28. 6. 1899; gest. London, 1975). – Adler besuchte die Volksschule in Karlsbad und absolvierte die Matura in Prag. Bereits als Gymnasiast wurde er von →Karl Kraus und der „Fackel“ beeinflusst. Ab Herbst 1909 studierte er Kunstgeschichte in München, Wien und Erlangen und promovierte im März 1916 in München mit der Dissertation „Ursprünge und Anfänge des Holzschnitts“. Dort kam er mit Vertretern der künstlerischen Avantgarde in Kontakt. Wegen Verweigerung des aktiven Kriegsdiensts verhaftet und interniert, arbeitete er nach seiner Freilassung an der von →Ernst Zenker redigierten Zeitschrift „Die Wage“ mit. Zusammen mit seiner ersten Frau folgte er einer Einladung Johannes Ittens und übersiedelte im Herbst 1919 nach Weimar, wo er einen Lehrauftrag für Kunstgeschichte am Bauhaus erhielt und mit Walter Gropius, Oskar Schlemmer, Paul Klee und anderen bekannt wurde. Daneben gründete er 1920 den Verlag „Utopia“, in dem 1921 das gleichnamige Jahrbuch, eine Sammlung an Dokumenten über Sinn und Möglichkeit von Kunst aus mehreren Jahrhunderten, erschien („Utopia. Dokumente der Wirklichkeit“, 1921, Reprint 1980). Während seiner Weimarer Lehrtätigkeit (1919–24) beschäftigte er sich mit Matthias Claudius und →Adalbert Stifter; beiden widmete er 1921 bzw. 1922/25 Werkausgaben. 1924 kehrte er in seine Heimatstadt Karlsbad zurück, wo er gemeinsam mit dem Schriftsteller Ernst Sommer die zeitkritische Revue „Die Provinz“ gründete, um den deutsch-tschechischen Dialog zu fördern. Obwohl zahlreiche prominente Mitarbeiter für die Zeitschrift gewonnen werden konnten, musste sie nach wenigen Heften eingestellt werden. Danach erhielt Adler eine Stelle als Mitarbeiter der „Propyläen-Kunstgeschichte“ beim Berliner Ullstein Verlag. 1931 erschien seine historisch-politische Reportage „Der Schuß in den Weltfrieden“ über die Vorgeschichte des Attentats von Sarajevo, die von der Kritik überwiegend mit Lob bedacht wurde. Im Februar 1933 von der Gestapo verhaftet, gelang ihm nach einer Intervention Tomáš Garrigue Masaryks (→Thomas (Garrigue) Masaryk) die Ausreise nach Prag, wo er bis 1936 als freier Schriftsteller und Privatgelehrter lebte. Im Verlag Kurt Wolff veröffentlichte er 1934 eine Biografie über Matthias Claudius (unter seinem Pseudonym) und im selben Jahr „Der Kampf um Polna“, eine sorgfältig recherchierte Dokumentation über einen angeblichen Ritualmord, der in Böhmen um 1900 eine Welle des Antisemitismus und Nationalismus ausgelöst hatte. Darin würdigte er auch die aufklärerische Rolle Masaryks. Seine 1936 im Rowohlt Verlag erschienene Biografie „Adalbert Stifter. Geschichte seines Lebens“ (2. Auflage 1958) – von der deutschen Kritik zunächst gelobt – wurde nachträglich als „jüdisches Machwerk“ („Völkischer Beobachter“) verurteilt, als bekannt wurde, wer sich hinter dem Pseudonym verbarg. Adler emigrierte im Jänner 1936 nach England, wo er bis September 1939 im Süden des Landes als Lehrer für jüdische Kinder aus Deutschland tätig war. Nach seiner Übersiedlung nach London bewarb er sich bei der BBC als Mitarbeiter des deutschsprachigen Programms, wurde jedoch zunächst abgelehnt. Erst im Sommer 1940 nahm sie seinen Vorschlag für eine Satiresendung mit dem Titel „Frau Wernicke“ an, das erste deutschsprachige Satireprogramm der BBC. Aufgrund des Erfolgs der Sendereihe, in der eine Berlinerin in Monologen und im Dialekt das Alltagsleben während des Kriegs im NS-Staat kommentierte, erhielt Adler das Angebot für eine zweite Sendung („Kurt und Willi“), die stärker auf politische und militärische Ereignisse fokussiert war, um der deutschen Propaganda entgegenzuwirken. Beide Reihen wurden bis 1944 bzw. 1945 ausgestrahlt. Um rascher auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können, wurde Adler dem Political Intelligence Department des britischen Außenministeriums zugeteilt und in der Folge auch mit der Abfassung von Flugblättern betraut, die über Deutschland abgeworfen wurden. Nach Kriegsende redigierte er 1945–48 „Die neue Auslese“, die vom Alliierten Informationsdienst nach dem Vorbild der Zeitschrift „Reader’s Digest“ gestaltet die deutsche Leserschaft über aktuelle Strömungen des internationalen Geistes- und Kulturlebens informieren sollte. Womöglich aufgrund finanzieller Zwänge übernahm er im Frühjahr 1949 die Autorschaft für eine neue Sendereihe („Zwei Genossen“), die von der BBC bis Mitte der 1960er-Jahre ausgestrahlt wurde; in den ideologischen Ost-West-Konflikt eingebettet, wurde dabei die Hohlheit phrasenhafter Ideologie, der antidemokratische und repressive Charakter des stalinistischen Herrschaftsmodells und seiner Repräsentanten sowie das Scheitern kommunistischer Planwirtschaft satirisch angeprangert. Erst in den letzten Lebensjahren nahm Adler seine früheren Forschungen wieder auf: Er verfasste ein Buch über das Bauhaus („Lebenswege in Bildern. Das Weimarer Bauhaus“, 1963), legte eine überarbeitete Biografie über Matthias Claudius („Matthias Claudius. Sein Weg und seine Welt“, 1934) und eine populärwissenschaftliche Stifter-Biografie („Adalbert Stifter in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“, 1965, 14. Auflage 1994) vor. Adlers Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar.