Aehrenthal, Aloys Gf. Lexa von (1854-1912), Minister und Diplomat

Aehrenthal Aloys Graf Lexa von, Staatsmann und Diplomat. * Groß-Skal (Böhmen), 27. 9. 1854; † Wien, 17. 2. 1912. Stud. in Prag und Bonn, 1877 Botschaftsattaché in Paris, 1878 in Petersburg, 1883 Präsidialchef im Min. des Äußeren, 1888 Legationsrat in Petersburg, 1894 als ao. Gesandter und bevollm. Min. im Min. des Äußeren, 1895–98 ao. Gesandter und bevollm. Min. in Bukarest, 1899–1906 Botschafter in Petersburg, am 24. Oktober 1906 als Nachfolger Goluchowskis k.u.k. Min. des Äußeren. Mit Aehrenthal trat ein neuer zielbewußter Zug der Aktivität in die österr. Außenpolitik, der in der vielumstrittenen Annexion von Bosnien und der Herzegowina seinen Höhepunkt fand. Die Pläne bezüglich des Baues der Sandschak-Bahn ließen schon 1907 den veränderten Charakter der österr. Außenpolitik erkennen. Als die jungtürkische Revolution des Jahres 1908 eine Entscheidung über die staatsrechtliche Stellung der seit 1878 okkupierten Länder Bosnien und Herzegowina forderte, entschloß sich Aehrenthal zur Annexion dieser Länder. Die Annexion (5. 10. 1908) erregte jedoch den heftigsten Widerspruch nicht nur Serbiens und der Türkei, sondern auch der Westmächte und Rußlands und führte zu einer gefährlichen Krise der europäischen Politik. Erst nach langwierigen diplomatischen Verhandlungen kam es am 26. 2. 1909 zur Verständigung mit der Türkei und im März 1909 durch Vermittlung Deutschlands auch zu einer Verständigung mit Rußland, dessen Außenmin. Iswolski während seines Aufenthaltes in Paris und London zur Zeit der Annexion die österreichfeindliche Politik der Westmächte entscheidend beeinflußt hatte, obwohl er in den Buchlauer Besprechungen am 15./16. 9. 1908 der Annexion prinzipiell zugestimmt hatte. Aehrenthal, der selbst während der Annexionskrise entschieden gegen eine kriegerische Auseinandersetzung mit Serbien und Rußland aufgetreten war, verfolgte auch in den folgenden Jahren, vor allem während der Marokkokrise (1911) und während des italienischen Tripoliskrieges eine friedliche Politik, die ihn in schärfsten Gegensatz zu dem damaligen Generalstabschef Conrad v. Hötzendorf brachte. Der Konflikt des Außenmin. mit dem Generalstab führte im Herbst 1911 zur Entlassung Conrads v. Hötzendorf, der unterstützt vom Thronfolger und der christlichsozialen Presse ein präventives Vorgehen gegen Italien forderte. Die von Aehrenthal Anfang Jänner 1912 eingereichte Demission wurde vom Kaiser zurückgewiesen, doch machte seine fortschreitende Krankheit (Leukämie) bald darauf eine Enthebung vom Amte notwendig.

L.: M.Pr. und R.P. vom 18. 2. 1912; A.Pr. vom 19. und 22. 2. 1912; M.Pr. vom 23. 2. 1912; Molden, Alois Graf Aehrenthal, 1917; H. Grohmann, Die Pressepolitik des österr. Außenmin. Graf A.Ae., 1906–12, Diss. Wien, 1949; Conrad, Aus meiner Dienstzeit, 2, 1922; J. M. Baernreither, Fragmente eines politischen Tagebuches, 1928; H. Hantsch, in: Bericht über Versammlung des Verbandes österr. Geschichtsvereine, 1950, S. 32f.; Biogr.Jb.; Österr.-Ungarns Außenpolitik 1908–14, 1930; Enc.It.; NDB.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 8f.
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