Aichinger, Erwin (1894–1985), Forstwissenschaftler und Botaniker

Aichinger Erwin, Forstwissenschaftler und Botaniker. Geb. Bleiberg (Bad Bleiberg, Kärnten), 17. 9. 1894; gest. Bad Kleinkirchheim (Kärnten), 6. 3. 1985; röm.-kath. Sohn des Apothekers Josef Aichinger sowie der Vincenzia Aichinger, geb. von Reisinger; verheiratet mit Ilse Aichinger, geb. Martinek (geb. 6. 11. 1921). – Nach dem Gymnasium in Villach besuchte Aichinger 1914 die Höhere Forstlehranstalt in Bruck an der Mur. 1915 rückte er zur k. u. k. Armee ein und wurde an der italienischen Front 1917 schwer verwundet. Vorübergehend halbseitig gelähmt, kam er ins Militärspital in Bruck an der Mur, wo er seine Schulausbildung fortsetzen konnte. 1919 schied er als Oberleutnant aus dem Militär aus, bestand im Februar 1919 die Reifeprüfung und nahm im selben Jahr am Kärntner Abwehrkampf teil. 1920–28 studierte Aichinger an der Hochschule für Bodenkultur in Wien Forstwirtschaft als außerordentlicher Student. Ab 1922 war er Forstmeister beim Prinzen von und zu Liechtenstein im Kärntner Rosenbach. Dieser unterstützte seine vegetationskundlichen Studien, die ihn an die Universitäten Wien, Prag, Montpellier, Zürich und Algier sowie nach Finnland, Ungarn, auf den Balkan und nach Deutschland führten. In Montpellier wurde er mit Josias Braun-Blanquet, einem der Begründer der Pflanzensoziologie, bekannt, der sein wichtigster Lehrer wurde. Dieser regte auch an, Aichingers Arbeitsstelle für alpenländische Vegetationskunde und Bodenkultur in Rosenbach, gegründet 1927, als Außenstelle des internationalen geobotanischen Instituts in Montpellier zu betreiben (ab 1931). Die Arbeitsstelle befand sich ab 1931 in Villach. Aichinger half 1922 beim Aufbau einer NS-Zelle in Rosenbach mit und war ab April 1924 Mitglied der DNSAP, der NSDAP trat er offiziell erst 1940 bei. 1933–34 schmuggelte er für den Sicherheitsdienst (SD) der SS unter der Leitung Odilo Globocniks Propagandamaterial und Waffen nach Österreich. Nach dem Parteiverbot 1934 arbeitete er weiterhin für den SD. Er dissertierte 1933 an der Hochschule für Bodenkultur in Wien über die „Vegetationskunde der Karawanken“, seine Habilitationsschrift „Der Faaker See und seine Verlandung. Eine pflanzensoziologische Studie“ schloss er 1934 an der Universität Wien am Pflanzenphysiologischen Institut bei Karl Höfler und am Botanischen Institut bei Fritz Knoll ab. 1936 ging er als o. Professor für Pflanzensoziologie, Forstschutz und Forstbenutzung an die Universität Freiburg im Breisgau, 1939 erfolgte seine Berufung an die Hochschule für Bodenkultur. Ebenfalls 1939 wurde Aichinger in den persönlichen Stab des Reichsführers SS, Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe, übernommen und mit der Leitung der Abteilung „Soziologie“ im Reichsbund für Biologie betraut. Nach Ausbruch des Kriegs rückte er im September 1939 ein und war bis Mai 1944 an der Front eingesetzt. Durch Kurzurlaube konnte er weiterhin Kurse in seinem nun in St. Andrä bei Villach gelegenen Institut für angewandte Pflanzensoziologie abhalten. Ab 1941 zeichnete sich bei Aichinger eine gewisse Ernüchterung bezüglich des NS-Regimes ab. Er trat gegen die Germanisierungspolitik Himmlers in Kärnten auf und setzte sich für verfolgte Fachkollegen ein. Für Erwin Planck, den Sohn von Max Planck, der im Zusammenhang mit dem Attentat auf →Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 verhaftet wurde, intervenierte er erfolglos. Im November 1944 schied Aichinger aus dem Ahnenerbe im Rang eines SS-Obersturmbannführers aus. Seine Stelle an der Hochschule für Bodenkultur verlor er mit Ende Juni 1945, im November desselben Jahres wurde er aufgrund seiner Funktionen in der SS und im NS-Reichsbund für Biologie im Lager Wolfsberg interniert. Das Verfahren wegen § 11 des Verbotsgesetzes wurde 1947 eingestellt. Wissenschaftlich blieb Aichinger mit seinem Institut, das nach Arriach übersiedelt war, weiterhin aktiv. 1949 veröffentlichte er die „Grundzüge der forstlichen Vegetationskunde“, 1951 erfolgte die Gründung der Schriftenreihe „Angewandte Pflanzensoziologie“. 1953–81 leitete er das nun in St. Georgen am Sandhof bei Klagenfurt gelegene Institut für Angewandte Pflanzensoziologie. 1954 erfolgte seine Berufung an die Universität Graz als Honorarprofessor für angewandte Pflanzensoziologie. Aichinger kann, als einer der ersten Schüler Braun-Blanquets, als Pionier auf dem Gebiet der Pflanzensoziologie gelten. In die Vegetationskunde brachte er den Begriff der Vegetationsentwicklung ein. Pflanzengesellschaften besaßen für ihn, über die floristischen Merkmale hinaus, als wichtiges Merkmal auch eine Dynamik, eine Entwicklungstendenz, die er in seinem Werk „Pflanzen als forstliche Standortsanzeiger“, das er 1967 als seine bedeutendste Publikation vollendete, behandelte. Früh waren Aichinger Naturschutz und naturnahe Forstwirtschaft ein Anliegen. Er beschäftigte sich mit Vegetationskartografie im forstlichen Bereich. Besonders die praktische Arbeit stand für ihn im Mittelpunkt und er entwickelte eine rege Lehrtätigkeit an seinen Instituten. International war er gut vernetzt, so gründete er 1959 zusammen mit Maks Wraber (Ljubljana) und Sandro Pignatti (Trieste) in Klagenfurt die Ostalpin-Dinarische Gesellschaft für Vegetationskunde. Aichinger erhielt 1943 das Goldene Ehrenzeichen der NSDAP, 1960 den Goldenen Ehrenring der Stadt Villach sowie 1965 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.

Weitere W.: Naturschutz, eine wirtschaftliche Forderung, in: Naturschutz 10, 1928, Nr. 3; Forstlich angewandte Pflanzensoziologie, 1948.
L.: Festschrift für Erwin Aichinger zum 60. Geburtstag, ed. E. Janchen, 1954; S. Pignatti – E. Pignatti, Erwin Aichinger, in: Sauteria 4, 1988, S. 156ff. (mit Bild); A. Elste, Kärntens braune Elite, 1997, S. 18ff. (mit Bild); H. Hartl, in: Werkstatt Natur. Pioniere der Forschung in Kärnten, ed. M. Klemun, Klagenfurt 1998, S. 281f. (Kat.); P. Ebner, Politik und Hochschule. Die Hochschule für Bodenkultur 1914–1955, 2002, S. 193, 203ff. (mit Bild); Pfarre Bad Bleiberg, Kärnten.
(Tarik Gaafar)   
Zuletzt aktualisiert: 15.7.2024  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 12 (15.07.2024)