Aigner-Rollett, Oktavia Auguste; geb. Rollett, verheiratete Aigner (1877–1959), Medizinerin

Aigner-Rollett Oktavia Auguste, geb. Rollett, verheiratete Aigner, Medizinerin. Geb. Graz (Steiermark), 23. 5. 1877; gest. Graz, 22. 5. 1959; röm.-kath. Tochter von Rosa Rollett, geb. Wendl, und →Alexander Rollett, Mutter des Mathematikers Alexander Aigner (geb. Graz, 18. 5. 1909; gest. Graz, 7. 6. 1988), des Psychologen und Gymnasialprofessors für Geografie und Geschichte Adalbert Aigner (1912–1979) und des Archivars am Steiermärkischen Landesarchiv Reinhold Aigner (geb. Graz, 27. 9. 1920), Schwester des Erzählers, Kritikers und Publizisten Edwin Rollett (geb. Graz, 24. 1. 1889; gest. Wien, 7. 12. 1964); ab 1908 verheiratet mit dem Anatomen Walter Aigner (geb. Wien 1878; gest. 1950). – 1888–94 besuchte Aigner-Rollett das Mädchenlyzeum in Graz, danach die dortige Lehrerinnen-Bildungsanstalt, wo sie 1897 die Lehrbefähigungsprüfung bestand und als Probekandidatin an der Mädchen-Bürgerschule in Graz zugelassen wurde. 1900 legte sie als erste Grazerin die Externistenmatura, auf die sie sich im Privatstudium vorbereitet hatte, am Akademischen Gymnasium in Graz ab. Nachdem Aigner-Rollett 1900 an der Philosophischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität zu studieren begonnen hatte, wechselte sie 1901 nach Zulassung von Frauen zum Medizinstudium an die Medizinische Fakultät; 1905 Dr. med. Im Anschluss studierte sie Philosophie und Chemie, wurde jedoch durch den Widerstand der Professorenschaft am Erwerb eines zweiten Doktorgrads gehindert. 1906 als unbezahlte Hilfsärztin am damaligen Allgemeinen Krankenhaus in Graz tätig, wurde ihr die erstrebte Sekundararztstelle aufgrund eines eigens gefassten und für alle Ärztinnen geltenden Ablehnungsbeschlusses des Steiermärkischen Landesausschusses verwehrt. 1906 als erste Sekundarärztin am privaten Anna-Kinderspital in Graz eingestellt, eröffnete Aigner-Rollett 1907 eine eigene Praxis, die sie bis 1952 führte. Damit war sie die erste praktische Ärztin in der Steiermark. Neben dieser Tätigkeit fungierte Aigner-Rollett als Gutachterin für Krankenkassen, als Schulärztin, als Anstaltsärztin der Privat-Turnanstalt sowie als Lehrerin für Somatologie und Hygiene an der Frauen-Gewerbeschule in Graz. Während der beiden Weltkriege vertrat sie eingerückte Kollegen, zu Ende des 2. Weltkriegs war sie Luftschutzärztin. 1935 erhielt sie den Titel Medizinalrat verliehen. Aigner-Rollett war auch publizistisch tätig und verfasste medizinische ebenso wie frauenspezifische Arbeiten. Ab 1906 war sie erstes weibliches Mitglied der Steiermärkischen Ärztekammer, 1906–13 Mitglied der Vereinigung arbeitender Frauen, Graz, ab 1947 Vizepräsidentin (später Alters- und Ehrenpräsidentin) des Steiermärkischen Zweigs der International Federation of Business and Professional Women, weiters Mitglied im Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Graz, im Deutschen Frauenbund Graz, in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, im Klub der Grazer Frauen sowie im Verband der akademischen Frauen Österreichs. 1955 feierte sie die Goldene Promotion, 1997 wurde ihr zu Ehren ein zweiteiliges Denkmal beim Grazer Paulustor und vor der Grazer Vorklinik errichtet. Nach ihr wurde 2007 die Aigner-Rollett-Gastprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Graz benannt. 2014 erfolgte die Neubenennung des städtischen Seniorenheims in Graz als Pflegewohnheim Aigner-Rollett am Rosenhain und 2023 die Umbenennung der Max-Mell-Allee in Graz in Oktavia-Aigner-Rollett-Allee.

W.: Beiträge zur Kenntnis der interperitonealen Cholerainfektion und der Immunität der Meerschweinchen, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 115, Abt. III, 1906; Frauenkleidung, in: Mitteilungen der „Vereinigung der arbeitenden Frauen“ 5, 1907, Nr. 46–48.
L.: M. Jantsch, Der Aufstieg der österreichischen Ärztin zur Gleichberechtigung, in: Frauenstudium und akademische Frauenarbeit in Österreich, ed. M. Forkl – E. Koffmahn, 1968, S. 24ff.; R. Aigner, Dr. Oktavia Aigner-Rollett. Die erste Ärztin in Graz. Biographie einer österreichischen Früh-Ärztin, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 2, 1969, S. 141ff. (mit Bild); R. Aigner, Die Grazer Ärztinnen aus der Zeit der Monarchie, in: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 70, 1979, S. 47ff. (mit Bild); R. Aigner, Kleine Erinnerungen an die erste Grazer Ärztin Oktavia Aigner-Rollett, in: Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs 47, 1997, S. 243ff. (mit Bild); G. Simon, „Durch eisernen Fleiß und rastloses, aufreibendes Studium“. Die Anfänge des Frauenstudiums in Österreich: Pionierinnen an den Universitäten Wien und Graz, in: Geschichte der Frauenbildung und Mädchenerziehung in Österreich. Ein Überblick, 1997, S. 205ff.; biografiA. Lexikon österreichischer Frauen 1, 2016; UA, Graz, Steiermark.
(Johannes Seidl)   
Zuletzt aktualisiert: 15.7.2024  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 12 (15.07.2024)