Andrássy, Julius d. Ä. Gf. (1823-1890), Ministerpräsident

Andrássy Julius (d. Ältere) Graf, Politiker und Staatsmann. * Kaschau, 8. 3. 1823; † Volosca (Istrien), 18. 2. 1890. Stud. Jus an der Univ. Budapest, Reise durch Europa, 1845 Gerichtsbeisitzer im Kom. Zemplin, trat im Vormärz publizistisch gegen den Absolutismus auf; 1847 in den Preßburger Reichstag gewählt, trat er des öfteren für das Programm Kossuths ein; 1848 Obergespan und Mitgl. des Magnatenhauses, kämpfte als Honvédmjr. an der Spitze eines Freiwilligenbaons. bei Schwechat gegen Jellačič, Adj. Görgeys; Mai 1849 Parlamentär in Konstantinopel und erwirkte von der Pforte das Zugeständnis der Nichtauslieferung der ungar. Flüchtlinge an Österr., er selbst begab sich ins Exil nach London und Paris. 1849 in contumaciam zum Tod verurteilt und in effigie gehenkt, kehrte er 1858 durch die Vermittlung seiner Mutter heim und schloß sich Deák an. Seit 1861 Reichstagsabg., mit Deák spiritus rector des Ausgleichs von 1867; von A. ging auch der Gedanke der Delegationen aus, der einen bestimmenden ungar. Einfluß und die Wahrung des dualistischen Charakters der Monarchie garantierte. 17.12.1867 erster Ministerpräs. Ungarns, führte die Neuorganisation des Staates durch, erreichte die Einverleibung Siebenbürgens und der Militärgrenze und den Ausgleich mit Kroatien; am 8. 6. führte er in Vertretung des Palatins K. Franz Joseph I. zur Krönung nach Ofen, bei welcher Gelegenheit der neue König eine vollkommene Amnestie für die „Achtundvierziger“ erließ und die Aufstellung von Honvédeinheiten versprach, 1868 setzte er das neue Wehrgesetz durch und wirkte 1870 gegen Beust für die Neutralität gegen Preußen. 13. 11. 1871, nach dem Sturz Beusts als gemeinsamer Min. des Äußeren, waren nicht nur Zurückgewinnung der Vormachtstellung in Deutschland und Italien, sondern auch Annäherung an diese beiden Staaten, entschiedene Orientpolitik, allerdings im Einverständnis mit Rußland, und Aufgabe des Dogmas von der Unverletzlichkeit der Türkei die Ziele seiner Außenpolitik. Diesem Zwecke diente die Reise K. Franz Josephs zur Pariser Weltausstellung 1867, zur Eröffnung des Suezkanals 1869, nach Petersburg 1874 und nach Venedig 1875, sowie die beiden Dreikaiserzusammenkünfte 1872 zu Berlin und 1876 zu Reichstadt in Böhmen. Im serbisch-türkischen und russisch-türkischen Konflikt, 1876–78, wahrte A. Österr.s Neutralität, lehnte jedoch den von Rußland diktierten Frieden von S. Stefano ab, der durch den von A. beantragten Berliner Kongreß der sechs Großmächte im Juni 1878 revidiert wurde. Das von A. auf diesem Kongreß übernommene Mandat zur Besetzung Bosniens, der Herzegowina und des Sandschaks stieß allerdings auf heftigen Widerstand der österr. Liberalen und führte, wie die Ernennung des deutschfeindlichen Kabinetts Taaffe, zu seiner Demission am 22. 9. 1879, die vom K. allerdings erst nach Abschluß des von ihm vorbereiteten Zweibundvertrages am 7. 10. 1879 in Gastein angenommen wurde. A. war ein guter Diplomat und Redner, liberal, deutschfreundlich und vom ursprünglichen Gedanken des Ausgleichs: der Vorherrschaft der Deutschen in Österr., der Magyaren in Ungarn, beseelt. Durch seine Politik wurde Österr.-Ungarn aus der Isolierung der sechziger Jahre herausgeführt und ging wieder zu aktiver Großmachtpolitik über. Seit 1879 lebte A. wieder auf seinen Gütern und nahm nur gelegentlich, wie z.B. in der Frage der Reformierung des Ehegesetzes, als Mitgl. des Magnatenhauses am polit. Leben teil.

W.: S. I. Kertész, Gróf Andrássy Gyula, müveinek bibliográfiája, Budapest, 1930; Reden, hrsg. von Lederer, 2 Bde., 1891ff.
L.: W. I. Wyatt, Hungarian celebrities, 1871, S. 144; A.Pr. vom 18. und 19. 2. 1890; M.Pr. vom 19., 21., 22., 23., 26. 2. 1890; Österr. Rundschau 24, S. 22; 25, S. 181; 26, S. 87, 32, S. 232; 36, S. 176; ADB.; E. v. Wertheimer, Graf J.A., sein Leben und seine Zeit, 3 Bde., 1910ff.; D. Angyal, Gróf Andrássy Gyula, 1823–90, 1941; R. v. Hegedüs, Die beiden A. und die beiden Tisza, 1937; Wurzbach; E. Heller, Das österr.-ungar. Bündnis in Bismarcks Außenpolitik, 1925; Ungar. Revue 1891, S. 273; 504 (B. Kállay); Gulyás 1; NDB.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 20f.
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