Antoine, Tassilo (1895–1980), Gynäkologe

Antoine Tassilo, Gynäkologe. Geb. Wien, 25. 10. 1895; gest. ebd., 23. 4. 1980 (Ehrengrab: Zentralfriedhof); röm.-kath. Enkel des Hofgartendirektors →Franz de Paula Antoine d. J., Sohn des Zahnarztes Rudolf Antoine (geb. Wien, 6. 4. 1862) und der Helene Antoine, geb. Ullmann; ab 1920 verheiratet mit der Dermatologin Lore Antoine-Trappen, geb. Trappen (geb. Sava, Krain / Jesenice, SLO, 31. 7. 1895; gest. Wien, 28. 2. 1982). – Nach dem Besuch des Gymnasiums begann A. 1914 ein Medizinstudium an der Universität Wien. Im Februar 1915 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und wurde zum Landesschützenregiment „Bozen“ Nr. 2 eingezogen. 1916 Reservekadett, rüstete er 1918 als Oberleutnant ab und kehrte an die Universität Wien zurück; 1921 Dr. med. Bereits ab 1919 sammelte A. Erfahrungen als Demonstrator am II. Anatomischen Institut der Universität Wien unter Ferdinand Hochstetter. Nach seiner Promotion vertiefte er seine Kenntnisse am Institut für gerichtliche Medizin unter →Albin Haberda, als Hilfsarzt an der III. Medizinischen Universitätsklinik unter →Franz Chvostek und als Operationszögling an der I. Chirurgischen Universitätsklinik unter →Anton Freiherr von Eiselsberg. 1924 erhielt A. eine Assistentenstelle an der II. Universitäts-Frauenklinik unter →Fritz Kermauner, Wilhelm Weibel und →Heinrich Kahr, mit dem er 1936 an die I. Universitäts-Frauenklinik wechselte. 1936 wurde A. nach Abfassung seiner Monographie „Physiologie und Pathologie der Wehen“ (1935) für Gynäkologie und Geburtshilfe habilitiert und übernahm die Leitung der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des Krankenhauses Lainz. 1940–43 als Ordinarius und Vorstand der Frauenklinik an der Universität Innsbruck tätig, kehrte er 1943 nach Wien zurück. A., Mitglied des NS-Ärztebunds und der NSDAP (ab 1941), erhielt 1940 den Auftrag, Zwangssterilisationen durchzuführen. 1949 dennoch zum o. Professor ernannt, stand er bis zu seiner Pensionierung 1967 als Ordinarius der I. Universitäts-Frauenklinik vor. Seine Zeit als Klinikchef war geprägt von bahnbrechenden Innovationen. So war die Wiener Frauenklinik weltweit eine der ersten, an der 1950 auf A.s Initiative eine Radiumstation für die Strahlentherapie bei Krebspatientinnen errichtet wurde, gerade weil A. als erfolgreicher Operateur um die Grenzen der operativen Therapie wusste. 1955/56 fungierte er als Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Wien, 1959/60 als Rektor. Wissenschaftlich befasste sich A. insbesondere mit der Frühdiagnose des Uteruskarzinoms, galt aber auch als Meister der Wertheimʼschen abdominellen Radikaloperationen des Gebärmutterkarzinoms. Die Entwicklung der Kolpomikroskopie aus der Kolposkopie, die ihm gemeinsam mit seinem Schüler Viktor Grünberger gelang, galt weltweit als Pionierleistung. In der Geburtshilfe lenkte A. sein Augenmerk frühzeitig auf die Kontrolle der Wehentätigkeit und auf die Entwicklung von Wehenmitteln. Darüber hinaus befasste er sich mit dem Problem der Unfruchtbarkeit bei Mann und Frau. Von seinen rund 150 Publikationen, welche in zahlreichen Sprachen übersetzt erschienen, verdienen die Neubearbeitung von „Weibels Lehrbuch der Frauenheilkunde“ (2 Bde., 1948–49), sein „Atlas der Kolpomikroskopie“ (gemeinsam mit Grünberger, 1956), in dem er die Technik der Auflichtmikroskopie in die gynäkologische Krebsdiagnostik einführte und der in vier Sprachen übersetzt wurde, sowie die „Gynäkologische Operationslehre“ als Beitrag im 3. Band von Burghard Breitners Sammelwerk „Chirurgische Operationslehre“ (1957) Erwähnung. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Der Krebsarzt“ widmete er sich dem Kampf gegen die fortschreitenden Krebserkrankungen. International war A. ein willkommener Vortragender bei medizinischen Kongressen, v. a. deshalb, weil er Englisch, Französisch und Italienisch beherrschte und später auch noch Russisch lernte und so die Wiener medizinische Schule vorteilhaft repräsentieren konnte. Seine Reisen führten ihn bis nach Argentinien und San Francisco. Nicht zu Unrecht galt er daher als österreichischer Botschafter der Gynäkologie in aller Welt. A., Ehrenmitglied zahlreicher internationaler Fachgesellschaften, war u. a. wirkliches Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (ab 1960), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien (ab 1961) sowie Präsident (ab 1968) und Ehrenpräsident (ab 1977) der Gesellschaft der Ärzte in Wien. 1952 wurde er zum 1. Präsidenten der neu gegründeten Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gewählt, 1961 fungierte er als Präsident des Weltkongresses der Internationalen Föderation für Gynäkologie und Geburtshilfe. 1965 erhielt er den Ehrenring der Stadt Wien, 1967 die Billroth-Medaille, 1971 den Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaften und 1972 das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst I. Klasse; 1968 Dr. h. c. der Tierärztlichen Hochschule in Wien.

Weitere W.: s. Deutsches Gynäkologen-Verzeichnis.
L.: Neues Österreich, 3. 9. 1961 (mit Bild); WZ, 24. 10. 1970; Die Presse, 25./26. 10. 1975, 26./27. 4. 1980; Almanach Wien 130, 1981, S. 336ff.; Czeike (mit Bild); Deutsches Gynäkologen-Verzeichnis, ed. W. Stoeckel, 1939 (mit W.); S. Tapfer, in: WKW 77, 1965, S. 789f.; Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969, ed. F. Huter, 1969, s. Reg. (mit Bild); H. Rauscher, in: WKW 87, 1975, S. 665f.; H. Janisch, ebd. 92, 1980, S. 533; Österreichische Hochschulzeitung 32, 1980, S. 24; Universität Wien. Das Studienjahr 1979/80, 1981, S. 103ff.; K. H. Tragl, Chronik der Wiener Krankenanstalten, 2007, s. Reg.; M. A. Wolf, Eugenische Vernunft, 2008, S. 403, 558f.; C. A. Spring, Zwischen Krieg und Euthanasie, 2009, s. Reg.; K. H. Tragl, Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838, 2011, s. Reg. (mit Bild); AdR, UA (mit Bild), WStLA, alle Wien.
(D. Angetter)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)