Antonius, Otto (1885–1945), Zoologe und Tiergärtner

Antonius Otto, Zoologe und Tiergärtner. Geb. Wien, 21. 5. 1885; gest. ebd., 9. 4. 1945 (Selbstmord); evang. AB. Sohn des Pfarrers der Pauluskirche in Wien-Landstraße Julius Traugott Antonius (1858–1934) und von Auguste Grill (1861–1944). – Nach Besuch des Gymnasiums in Wien studierte A. ab 1906 Naturwissenschaften, v. a. Zoologie und Paläontologie, an der Universität Wien; 1910 Dr. phil. Zunächst Privatassistent von →Othenio Abel am Institut für Paläobiologie, arbeitete er auch mit →Leopold Adametz an der Hochschule für Bodenkultur (BOKU) zusammen. 1913 wirkte A. bei der Wiener Adria-Ausstellung mit, 1914 nahm er an der 5. Wiener Universitätsreise nach Ägypten und Kreta teil. 1914–18 als Soldat im Kriegseinsatz (zuletzt Oberleutnant der Reserve), konnte er u. a. 1918 prähistorische Ausgrabungsstätten im Nahen Osten besuchen. Ab Dezember 1918 wissenschaftliche Hilfskraft, habilitierte sich A. 1919 an der Universität Wien für Paläobiologie mit besonderer Berücksichtigung der Wirbeltiere und 1921 an der BOKU für Zoologie der Wirbeltiere mit besonderer Berücksichtigung der Abstammung der Haustiere. Ab 1920 ao. Univ.ass. bei Abel, reiste er im selben Jahr zur Untersuchung prähistorischer Haustierfunde in die Niederlande. 1921 begann er mit der Bearbeitung von Tierknochen-Funden aus österreichischen Höhlen, u. a. der Drachenhöhle bei Mixnitz. A. stand bereits früh mit dem Tiergarten Schönbrunn in Verbindung: 1924 wurde er dort als wissenschaftlicher Beamter angestellt, 1925 übernahm er die Leitung (1926 Baurat, 1930 Oberbaurat). Daneben lehrte er weiter an der Universität (1931 tit. ao. Prof., 1940 ao. Prof.) und der BOKU (1940 Hon.-Prof.). 1932 wurde A. Mitglied der NSDAP, im März 1934 nach politischer Denunzierung vom Dienst im Tiergarten Schönbrunn suspendiert. 1935 rehabilitiert, konnte er seinen Dienst erst wieder mit Ende 1937 antreten. Während dieser Zeit beschäftigte er sich v. a. mit Stammesgeschichtsforschung, Domestikation und Tierpsychologie, der späteren Vergleichenden Verhaltensforschung. A. war ein Mentor von Konrad Lorenz, mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verband, und einer der Wegbereiter der 1942 erstmals vom Schweizer Heini Hediger formulierten Tiergartenbiologie. Eine im Frühjahr 1941 genehmigte Ernennung zum o. Prof. und Leiter einer „Zentralstelle für Pferdeforschung“ an der BOKU kam nicht zustande. 1944 bemühte sich A. unter dem Einfluss von Eduard Paul Tratz (Haus der Natur in Salzburg), dem als Tibet-Forscher bekannt gewordenen Ernst Schäfer und von Abel um die Errichtung eines Instituts für Pferdeforschung im Rahmen der SS-Organisation „Ahnenerbe“, das aber ebenfalls nicht mehr realisiert wurde. Im Volksbildungswesen engagiert, hielt er zahlreiche populärwissenschaftliche Vorträge, u. a. an der Wiener Urania. Unter A.s Leitung erfuhr der Tiergarten zeitgemäße Um- und Neubauten und erhielt Anschluss an die universitäre Forschung. Seine rund 200 Arbeiten erschienen v. a. in „Der Zoologische Garten“ und in der „Zeitschrift für Tierpsychologie“ (ab Bd. 2/1939 mit Otto Koehler und Lorenz deren Herausgeber), teils aber auch in populärwissenschaftlichen Zeitschriften. Zu seinen Hauptwerken zählen „Grundzüge einer Stammesgeschichte der Haustiere“ (1922), „Gefangene Tiere“ (1933) und „Die Tigerpferde“ (posthum 1951). Die von ihm selbst als Lebenswerk bezeichnete „Geschichte des Pferdes im Bilde“ konnte er kriegsbedingt nicht mehr vollenden. Besonders seine Arbeiten zur Stammesgeschichtsforschung und zur Domestikation sowie viele seiner Beiträge über Equiden sind immer noch wertvolle biologische und kulturhistorische Quellen. A. war Mitglied und Funktionär zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften wie der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien, der Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde (1926 Gründungsmitglied), der Deutschen Gesellschaft für Tierpsychologie (ab 1938 Präsident), des Internationalen Verbandes der Direktoren Zoologischer Gärten (1938 Vizepräsident, 1940 kommissarischer Leiter) und der Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents, über die er den Tiergarten Schönbrunn am ersten europäischen Arterhaltungsprogramm beteiligte.

Weitere W.: s. Wachtel; Petzold.
L.: Jb. der Wr. Ges.; W. Herre, Dem Gedenken an Prof. Dr. phil. O. A., in: Zeitschrift für Säugetierkunde 27, 1962, S. 63f.; O. Koenig, Erinnerungen an Professor O. A., in: Verhaltensforschung in Österreich, ed. ders., 1983, S. 148f.; H. Wachtel, O. A. 1885–1945, 1996 (m. tw. W.); G. Petzold, in: Der zoologische Garten, NF 69, 1999, S. 64–70 (m. W.); V. Hofer, Bühne-Wohnung-Territorium. Der Schönbrunner Tiergarten unter der Leitung von O. A. 1924–1945, in: Menagerie des Kaisers – Zoo der Wiener, ed. M. G. Ash – L. Dittrich, 2002, S. 181–216; dies., Wissenschaft und Authentizität. Der Schönbrunner Tiergarten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Anfänge der Tiergartenbiologie, in: Mensch, Tier und Zoo …, ed. M. G. Ash, 2008, S. 251–279; O. A. – Wegbereiter der Tiergartenbiologie, ed. D. Schratter – G. Heindl, 2010; AdR, KA, UA, alle Wien.
(G. Heindl)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 25
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