Belgiojoso (Belgioioso, Trivulzio di Belgiojoso), (Maria) Cristina Fürstin; geb. Trivulzio (1808–1871), Revolutionärin und Publizistin

Belgiojoso (Belgioioso, Trivulzio di Belgiojoso) (Maria) Cristina Fürstin, geb. Trivulzio, Revolutionärin und Publizistin. Geb. Mailand, Königreich Italien (Milano, I), 28. 6. 1808; gest. ebd., 5. 7. 1871. B. entstammte einer der reichsten Familien Mailands; Tochter von Gerolamo Trivulzio (geb. Mailand, Herzogtum Mailand, 1778; gest. Varese, Königreich Italien / I, 17. 9. 1812) und von Vittoria Trivulzio, geb. Gherardini (geb. Turin, Königreich Sardinien / Torino, I, 1790; gest. Paris, F, 2. 8. 1836), Mutter von Maria Gerolama Belgiojoso; ab 1824 verheiratet mit Emilio Barbiano di Belgiojoso Marchese d’Este (geb. 14. 3. 1800; gest. 16. 2. 1858). – Zu B.s Lehrern zählten Francesco Ambrosoli, Robustiano Gironi, Achille Mauri und Ernesta Bisi Legnani. Diese legten den Grundstein für ihr lebenslanges politisches und soziales Engagement. Bereits 1828 verließ sie ihren Mann und reiste bis 1830 durch Italien, wo sie auf führende Vertreter des Risorgimento traf und auch in deren Geheimbund, die Carbonaria, aufgenommen wurde. Aufgrund dieser politischen Aktivitäten war sie im Frühjahr 1830 gezwungen, sich in die Schweiz nach Lugano abzusetzen, um der Verfolgung durch die österreichischen Behörden zu entkommen. Als Gast von Stefano Riva empfing sie im Tessin weiterhin italienische Exilanten. Sie stand auch Vertretern der lokalen Politik nahe, besonders dem liberalen Stadtpräsidenten Giacomo Luvini-Perseghini. Als die habsburgischen Behörden ihre Besitztümer in Mailand beschlagnahmten und sie dorthin zurückbeorderten, entschied sie sich 1831 für die Flucht nach Frankreich. Von Genua aus gelangte sie, unterstützt von den beiden Aktivistinnen des Risorgimento Teresa Doria und Bianca Milesi, über Nizza, Carqueiranne und Marseille nach Paris, wo sie bis 1840 lebte. 1833 strengten die Österreicher einen Prozess wegen Hochverrats gegen sie an, nachdem sie Giuseppe Mazzini finanzielle Unterstützung für den letztlich gescheiterten Umsturz in Savoyen hatte zukommen lassen. Ab 1836 unterhielt B. in Paris einen Salon. Neben vielen bekannten Gästen wie Honoré de Balzac, Vincenzo Bellini, →Franz von Liszt oder Frédéric Chopin ist v. a. auch Heinrich Heine zu nennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband. Eine Generalamnestie 1840, bei der Teile ihres Vermögens restituiert wurden, ermöglichte ihr die Rückkehr nach Mailand. Es folgten umfangreiche Arbeiten zur Religionsgeschichte und zur Geschichte Italiens, die bis 1850 publiziert wurden, darunter das vierbändige, auf den Index gesetzte Werk „Essai sur la formation du dogme catholique“ (1842, Reprint 2011). Die „Studi intorno alla storia della Lombardia negli ultimi trent’anni ...“ (1847, Reprint 2012) wiederum waren eine Abrechnung mit den seit 1815 in Lombardo-Venetien herrschenden Österreichern. Ebenso in die 1840er-Jahre fallen der Beginn ihrer journalistischen Tätigkeit sowie die Gründung mehrerer politisch motivierter Zeitschriften wie des „Ausonio“ (Februar 1845 bis März 1846). Weiterhin der italienischen Einigungsbewegung verbunden, war B. auch in die Aufstände in Mailand vom März 1848 aktiv involviert. Sie organisierte und finanzierte eine Freiwilligentruppe in Neapel, mit der sie in die Kampfhandlungen eingriff. Nach der Niederschlagung der Revolution konnte sich B. knapp einer Verhaftung entziehen. Während der Kämpfe um die 1849 von Mazzini ausgerufene Römische Republik organisierte sie, gemeinsam mit Margaret Fuller Ossoli und Enrichetta Pisacane, die medizinische Versorgung der Verwundeten. Nach der neuerlichen Niederlage der Nationalisten, diesmal in Folge eines französisch-spanischen Bündnisses, floh B. mit ihrer Tochter nach Ankara. Dort lebte sie bis 1855 unter italienischen Emigranten in einer landwirtschaftlichen Kommune, arbeitete aber auch verstärkt als Journalistin und schrieb zahlreiche Artikel für die „Revue des Deux Mondes“. Inhalt dieser Arbeiten waren ihre Reisen in den Orient. Die Restitution ihrer letzten beschlagnahmten Güter ermöglichte ihr 1855 die Rückkehr auf den Familiensitz nach Locate bei Mailand, wo sie bis zu ihrem Tod zurückgezogen lebte. Auf die Einigung Italiens 1861 hatte B. keinen Einfluss mehr.

Weitere W.: L’Italia e la rivoluzione italiana nel 1848, 1849; Asie Mineure et Syrie. Souvenirs de voyages, 1858; Scènes de la vie turque, 1858; Histoire de la maison de Savoie, 1860.
L.: Wurzbach; R. Barbiera, La Principessa B., i suoi amici e nemici, il suo tempo ..., 1902; Dizionario biografico delle donne lombarde, ed. R. Farina, 1995; E. Kuhlman, A to Z of Women in World History, 2002; G. Killert – R. Schroetter, in: Die Zeit 63, 2008, Nr. 27, S. 90 (mit Bild); La prima donna d’Italia, ed. M. Fugazza – K. Rörig, 2010; A. Petacco, La principessa del Nord. La misteriosa vita della dama del Risorgimento, 2010 (mit Bild); Encyclopedia of 1848 Revolutions (nur online, Zugriff 7. 4. 2015); Lugano.ch (mit Bild, nur online, Zugriff 24. 2. 2015).
(J. Pircher)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)