Bellac, Paul; bis 1940 Bellak (1891–1975), Journalist und Techniker

Bellac Paul, bis 1940 Bellak, Journalist und Techniker. Geb. Wien, 16. 9. 1891; gest. Basel (CH), 5. 12. 1975; mos., 1914 aus der IKG ausgetreten. Sohn des Inhabers einer Uhren- und Juwelenfirma, Julius Bellak (geb. 1849; gest. 16. 1. 1915), der Unternehmensstandorte in La Chaux-de-Fonds, einem Zentrum der Schweizer Uhrenindustrie, und einen Großhandelszweig in Wien unterhielt, und von Josefine Bellak, geb. Engel (gest. 21. 1. 1931); ab 1917 mit Viktoria Pittermann verheiratet. – B. studierte 1909–11 Maschinenbau an der TH in Wien und publizierte bereits damals in der „HP-Fachzeitung für Automobilismus und Flugtechnik“ sowie der „Österreichischen Flug-Zeitschrift“. Als Mitglied des Wiener Flugvereins nahm er seit 1912 wiederholt an Gleitflügen am Semmering und noch vor 1914 an Motorflugversuchen der Münchner Otto-Werke teil. Seine frühen journalistischen Arbeiten beschäftigten sich mit der Anwendung der drahtlosen Telegraphie, besonders in Luft- und Schifffahrt. Bald wurden seine Beiträge, die sich auch anderen technischen Fragen widmeten, von der „Neuen Freien Presse“, der „Zeit“ und anderen Tageszeitungen gedruckt. Nach dem Tod seines Vaters übernahm B. gemeinsam mit seinen Geschwistern die Leitung des väterlichen Unternehmens in der Schweiz, wo er angeblich sein Studium abschloss. In Beiträgen für den Berner „Bund“, „Das neue Europa“ oder die Zeitschrift „Die Versöhnung“ bezog B. zu politischen Fragen der Nachkriegsordnung, wie der Notwendigkeit zur Schaffung eines Völkerbunds, Stellung. Bedingt durch eine Krise in der Uhrenindustrie kehrte er nach Wien zurück, die Geschäftsführung überließ er seinem Bruder Arnold, blieb aber bis 1938 weiterhin am väterlichen Unternehmen beteiligt. In Wien lernte er 1921/22 die Pioniere und Mitbegründer des österreichischen Rundfunks Oskar Czeija und →Leopold Richtera kennen. Ab 1924 freier Mitarbeiter der Wiener Tageszeitung „Der Tag“, trat er für eine liberale Rundfunklösung sowie einen Rundfunk ein, der seine kulturelle Mission ernst nahm. So veröffentlichte er in den ersten fünf Jahren nach Gründung der Radio-Verkehrs-AG (RAVAG) mehr als 700 Artikel über technische und kulturelle Probleme des neuen Mediums im „Tag“, im „Morgen“ und in der „Radiowelt“. Auf seine Initiative hin lud die RAVAG-Geschäftsführung einige Pioniere der Bildübertragung nach Wien und ab 1928 bot die RAVAG als erste europäische Rundfunkanstalt als Zusatzdienstleistung auch die Übertragung von Bildern an. Ende September 1928 wechselte B. in die RAVAG, wo er die Leitung der Programmzeitschrift „Radio Wien“ übernahm, sich dabei erfolgreich auf die inhaltliche und äußere Gestaltung konzentrierte und die erste umfassende Radiohörer-Befragung organisierte. Im Mai 1930 übernahm er für kurze Zeit auch die Leitung der Abteilung Wissenschaft, musste jedoch aufgrund seiner liberalen politischen Einstellung diese Funktion zurücklegen. Anfang September 1931 reiste B. zur Völkerbundtagung nach Genf (Genève) und setzte bei seinen Übertragungen das neue Aufzeichnungsgerät ein, das auf dem „Lichttonverfahren“ beruhte. Ende Oktober 1933 wurde B. zum Direktor ernannt: Zu seinen Aufgaben zählte der Kontakt zur in- und ausländischen Presse, auch die letzte große Leistungsschau der RAVAG zum 10–Jahresjubiläum im Herbst 1934 wurde von ihm organisiert. Aufgrund der politischen Verhältnisse, vor allem wegen des Juliabkommens 1936, bewarb er sich mit Unterstützung Czeijas um einen Posten bei der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft (SRG), der aber vorerst nicht zustande kam. Im März 1938 musste B. wegen seiner jüdischen Herkunft in die Schweiz flüchten, war kurz als Übersetzer im Weltrundfunkverein tätig und erhielt im April zunächst eine provisorische Anstellung bei der SRG-Generaldirektion in Bern. In den folgenden Jahren stieg er zum Abteilungsleiter auf und wurde Anfang April 1943 Sekretär bei der Direktion und Leiter des SRG-Dokumentationsdiensts. Nach Kriegsende dehnte sich sein Aufgabengebiet auf das Studium des Fernsehens aus. B. wurde Mitte 1947 offiziell zum Fernseh-Experten der Generaldirektion sowie der internen Kommission der SRG und der Programmkommission für das Fernsehen bestellt. Weiters war er Vertreter der SRG im Schweizerischen Fernsehkomitee und der bundesrätlichen Fernsehkommission. In dieser Funktion veröffentlichte er ab 1953 mehrere Arbeiten (auch für internationale Fachzeitschriften und angesehenen Schweizer Zeitungen) über Probleme des Fernsehens, hielt Vorträge und hatte großen Anteil an der Einführung einheitlicher 625–Zeilen-Fernsehnormen in Europa. Ende Juni 1960 trat B. in den Ruhestand, blieb aber noch jahrelang publizistisch aktiv. Eine Rückkehr nach Wien kam für ihn angesichts der leidvollen Erfahrungen nach dem „Anschluss“ 1938 (Ermordung enger Angehöriger und Freunde, nur teilweise Entschädigung erlittener Vermögensverluste) nicht mehr in Frage, er hielt aber Kontakt zu befreundeten Journalisten und Repräsentanten des ORF (so veröffentlichte etwa „Radio Wien“ mehrere seiner Artikel über Probleme des Fernsehens). 1973 erhielt B. die Hans-Bredow-Medaille für Verdienste um das Radiowesen. 1921–30 Mitglied der Loge Lessing Zu den 3 Ringen.

W. (s. auch P. B. – zum 75. Geburtstag): Tonfilm als Berichterstatter, in: Radio Wien 7, 1931; Bildtelegraphie, Sonderdruck aus: Neue Zürcher Zeitung, 1943; Das Fernsehen, 1953 (2. überarb. Aufl. 1960); Die Vorgeschichte der Eurovision, in: Rundfunk und Fernsehen 12, 1964; etc.
L.: A. Plaut, Nestor, Gewissen und Archiv des europäischen Rundfunks. P. B. …, in: Funk-Korrespondenz, 8. 9. 1966; P. B. – zum 75. Geburtstag …, 1966 (m. W.); I. Köppel, P. B. – Fernseh-Experte der SRG-Generaldirektion …, DA Univ. Freiburg, 1968; Th. Venus, Vor 30 Jahren: Die Fernsehlawine rollte nur langsam …, in: Medien-Journal, 1986, H. 1–2, S. 36–54; M. Schmolke u. a., Wegbereiter der Publizistik in Österreich, 1992, S. 37–39; C. Hoerschelmann, Exilland Schweiz, 1997, S. 286; Th. Venus, Von der Ravag zum Reichssender Wien, in: NS-Herrschaft in Österreich, ed. E. Tálos u. a., 2000, S. 597–626; W. Degenhardt, Die Entstehung und Entwicklung der europäischen Partnerschaft im Fernsehbereich 1950–1970, Diss. Siegen, 2000, S. 21; G. Spuhler u. a., „Arisierungen“ in Österreich und ihre Bezüge zur Schweiz, 2002, S. 60, 68f.; R. Schlögl, O. Czeija – Radio- und Fernsehpionier, Unternehmer, Abenteurer, 2005, s. Reg.; G. K. Kodek, Unsere Bausteine sind die Menschen. Die Mitglieder der Wiener Freimaurerlogen (1869–1938), 2009; AdR, Literaturhaus, beide Wien; Archiv der SRG Bern, CH.
(Th. Venus)   
Zuletzt aktualisiert: 15.3.2013  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 2 (15.03.2013)