Benndorf, Hans (1870–1953), Physiker und Astronom

Benndorf Hans, Physiker und Astronom. Geb. Zürich (CH), 13. 12. 1870; gest. Graz (Steiermark), 11. 2. 1953; evang. AB. Enkel des Physiologen Rudolf Wagner (geb. Bayreuth, D, 30. 6. 1805; gest. Göttingen, D, 13. 5. 1864), Sohn von →Friedrich August Otto Benndorf. – Nach Besuch des Gymnasiums in Wien diente B. 1889–90 als Einjährig-Freiwilliger bei der Artillerie. Ab 1890 studierte er Physik an den Universitäten Wien, u. a. bei →Josef Stefan, →Ludwig Boltzmann und →Franz Exner, Heidelberg und Berlin; 1895 Dr. phil. in Wien. Bereits ab 1893 Exners Assistent, führte er 1898 luftelektrische Messungen in Sibirien durch und widerlegte dessen Verdunstungstheorie. 1899 habilitierte er sich für Physik an der Universität Wien und wurde zum Adjunkten am Institut Exners bestellt; 1904 ao., 1910 o. Prof. und Leiter des Instituts für experimentelle Physik an der Universität Graz. 1915–17 versah B. seinen Kriegsdienst als Batteriekommandant an der Südwestfront sowie als Leiter der Abteilung für innere Ballistik im Kriegsministerium in Wien. 1920/21 Dekan, 1932/33 und 1933/34 Rektor der Universität Graz. 1936 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, wurde B., Gegner des Nationalsozialismus, 1938 inhaftiert, kurze Zeit später zwar wieder freigelassen, eine angestrebte Honorarprofessur wurde ihm allerdings nicht bewilligt. In Graz zählten Forschungen über die Luftelektrizität zu B.s Hauptarbeitsgebieten. Ebenso leistete er wichtige Beiträge zur Entwicklung der Seismologie in ihrer Anfangsphase. So bezog sich Emil Wiechert in seiner ersten Arbeit über Erdbebenwellen ausdrücklich auf B. und führte 1910 auch die Bezeichnung „Benndorfscher Satz“ für die Beziehung zwischen dem Emergenzwinkel eines Erdbebenstrahls beim Auftauchen und der Geschwindigkeit im Scheitelpunkt in die physikalische Nomenklatur ein. B. wurde mit der Aufstellung zweier Wiechertscher Pendelseismographen im Přibramer Silber- und Bleibergwerk, die 1902 von der Erdbebenkommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien angeschafft wurden, beauftragt. Die beiden Pendel, die 1.100 m übereinander standen, sollten Aufschluss über die bei Erdbeben eintretenden Verschiebungen innerhalb der äußeren Erdrinde geben. B. erkannte, dass die beiden Apparate Fernbeben genau gleich wiedergaben, jedoch mikroseismische Bewegungen in der Tiefe des Schachts bedeutend schwächer zeigten. Später stellte er mit Unterstützung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik ein Pendel im Physikalischen Institut der Universität Graz auf und beteiligte sich bis 1937 am allgemeinen Erdbebendienst. Erwähnenswert sind ferner seine Untersuchungen über den Druck in Seifenblasen, wobei er die diesbezügliche amerikanische Grundlagenforschung aus dem Jahr 1844 weiterverfolgte. Daneben zählten die kinetische Gastheorie, Beschäftigung mit Drahtseilen, kritische Forschungen über die Bewegung fester Körper in einer Flüssigkeit mit Reibung, elektrische Schwingungskreise und elektromagnetische Wellen zu seinen Arbeitsgebieten. 1914 hatte er mit →Karl Hillebrand mittels der vom Eiffelturm in Paris ausgesendeten funkentelegraphischen Signale eine Längenbestimmung Paris–Graz durchgeführt. Mit →Wilhelm Prausnitz konstruierte er einen Apparat zum Studium der Verteilung von Licht und Schatten an Gebäuden bei Beleuchtung durch die Sonne, mit →Alexius Meinong von Handschuchsheim forschte er über Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Enge Freundschaften zu Viktor Franz Hess, Victor Conrad und Alfred Wegener begünstigten seine wissenschaftliche Tätigkeit. Die Gründung der ersten österreichischen physikalischen Zeitschrift „Acta Physica Austriaca“ geht ebenfalls auf B. zurück. Nach dem 2. Weltkrieg supplierte er die Lehrkanzeln für Theoretische Physik und Astronomie und leitete provisorisch das Physikalische Institut der Universität Graz. Daneben war er bis 1949 Vorstand des Astrophysikalischen Observatoriums auf der Kanzelhöhe. 1907 erhielt er den Ignaz L. Lieben-Preis der Akademie der Wissenschaften in Wien (1914 korrespondierendes, 1927 wirkliches Mitglied) und war auch Mitglied der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien sowie der Leopoldinisch Carolinischen Akademie der Naturforscher in Halle an der Saale.

W.: s. Poggendorff.
N.: Almanach Wien 103, 1953, S. 449–465 (m. B.).
L.: NDB; Poggendorff 4–7a (m. W.); Wer istʼs?, 1935; E. v. Schweidler, H. B. zum 70. Geburtstag, 1941; D. A. Binder, Der Konflikt zwischen Rektor B. und Minister Schuschnigg im Sommer 1933, in: Blätter für Heimatkunde 52, 1978, S. 81–86; A. Kernbauer, Das Fach Chemie an der philosophischen Fakultät der Universität Graz, 1985, s. Reg.; A. Holasek – ders., Biochemie in Graz, 1997, s. Reg.; W. Höflechner, Materialien zur Entwicklung der Physik und ihrer „Randfächer“ Astronomie und Meteorologie an den österreichischen Universitäten 1752–1938, 2, 2002; D. Angetter – M. Martischnig, Biografien österreichischer PhysikerInnen, 2005 (m. B.); Naturwissenschaften, Medizin und Technik aus Graz, ed. K. Acham, 2007, s. Reg. (m. B.); D. Angetter – N. Pärr, Blick zurück ins Universum …, 2009 (m. B.); Materialiensammlung ÖBL (m. B.), UA, beide Wien; UA, Graz, Steiermark.
(D. Angetter)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)