Bidermann, Hermann (Philipp) Ignaz (1831–1892), Staatswissenschaftler, Ethnograph und Historiker

Bidermann Hermann (Philipp) Ignaz, Staatswissenschaftler, Ethnograph und Historiker. Geb. Wien, 3. 8. 1831; gest. Graz (Steiermark), 25. 4. 1892; röm.-kath. Sohn des Tuchhändlers Leopold Bidermann und seiner Frau Anna Margareth Bidermann, geb. Frast, Neffe von →Johannes von Frast; verheiratet mit Anna Bidermann, geb. Grasser. – B. besuchte das Gymnasium in Kremsmünster und schloss seine Schulausbildung 1846 in Graz ab. Nach Absolvierung der philosophischen Jahrgänge ebendort entschied er sich 1848 für ein Studium der Rechtswissenschaften in Wien, das er später z. Tl. auch an der Universität Innsbruck verfolgte; 1853 Dr. iur. in Innsbruck. Im Mai desselben Jahres trat er eine Stelle als Praktikant im Ministerium für Cultus und Unterricht an, ehe er im November 1854 für zwei Semester beurlaubt wurde, um seine Studien an den Universitäten Göttingen und Leipzig fortzusetzen. B. habilitierte sich im Sommer 1855 für Staatswissenschaften an der Universität Pest und war dort in der Folge als Privatdozent tätig. Von hier aus unternahm er Forschungsreisen durch Oberungarn. 1858 erhielt er eine Professur an der Rechtsakademie Kaschau, 1860 in Pressburg. Wenig später musste er Ungarn verlassen und trat im Herbst 1861 eine Stelle an der Universität Innsbruck an, wo er 1862 zum o. Professor und 1865 zum Ordinarius für Statistik und Nationalökonomie ernannt wurde; 1868 Rektor. Im Herbst 1871 erfolgte seine Berufung an die Universität Graz, dort lehrte er Statistik, Verwaltungs- und Verfassungsgeschichte sowie Verwaltungs- und Staatsrecht; 1873/74, 1881/82 und 1891/92 Dekan der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät, 1882/83 Rektor. B. veröffentlichte umfangreiche Arbeiten zum österreichischen Staatsrat – etwa „Der österreichische Staatsrath (1760–1848). Eine geschichtliche Studie“, 1879 (gemeinsam mit →Carl Freiherr von Hock) – und zur österreichischen Staatsidee, z. B. „Geschichte der österreichischen Gesamtstaatsidee“, 1867. Der überzeugte Zentralist publizierte allerdings auch zahlreiche Beiträge zu unterschiedlichen Nationalitätenfragen des Reichs, wobei er v. a. aus historischer Perspektive forschte. In seinen ethnographischen Arbeiten war er insbesondere von →Karl Freiherr Czoernig von Czernhausen beeinflusst, dessen ethnographische Studien B. durch die Erforschung von Romanen und Slawen in der Habsburgermonarchie zu vervollständigen suchte. B.s Werk „Die ungarischen Ruthenen, ihr Wohngebiet, ihr Erwerb und ihre Geschichte“ (2 Bde., 1862–68) gilt als erstes wissenschaftliches Werk zur Karpathenukraine. Andere Interessensschwerpunkte berührten Statistik, Regionalgeschichte (v. a. Tirols und der Steiermark), Nationalökonomie sowie Rechts- und Wirtschaftsgeschichte. B. war zudem ein leidenschaftlicher Sammler von seltenen Büchern, Karten und Archivexzerpten. Seine umfangreiche Bibliothek ging nach seinem Tod durch Verkauf an die Innsbrucker Universitätsbibliothek, mit dem Erlös wurde eine Studienstiftung errichtet. Aus dem Nachlass B.s veröffentlichte →Siegmund Adler mehrere Arbeiten (z. B. „Die österreichischen Länder-Kongresse“, in: Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 17, 1896). B. wurde 1883 zum Regierungsrat ernannt, er war Präses der rechtshistorischen, Vizepräses der staatswissenschaftlichen und Mitglied der judiziellen Staatsprüfungskommission sowie korrespondierendes Mitglied der statistischen Zentralkommission.

Weitere W.: Die ruthenische Nationalität und ihre Bedeutung für Österreich, 1863; Russische Umtriebe in Ungarn, 1868; Die Italiener im tirolischen Provinzialverband, 1874; Die Bukowina unter österreichischer Verwaltung. 1775–1875, 1875 (2. verb. Aufl. 1876); Die Romanen und ihre Verbreitung in Österreich, 1877; Die Nationalitäten in Tirol …, 1886; Zur Ethnographie von Dalmatien, in: Österreichisch-ungarische Revue, NF 6, 1889. – Teilnachlass: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Tirol.
L.: F. v. Juraschek, in: Statistische Monatsschrift 18, 1892, S. 402ff.; L. Sprung, Verzeichnis der Bücher- und Landkarten-Sammlung eines Grazer Universitäts-Professors (H. I. B.), 1893; Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 21, 1894, S. 427ff.; F. v. Krones, in: Mittheilungen des Historischen Vereines für Steiermark 46, 1898, S. 259ff.; A. Hittmair, Geschichte der k.k. Universitätsbibliothek in Innsbruck, 1910, S. 140; M. Rohde, in: Geschichte und Region / Storia e Regione 29, 2020, H. 2, S. 189ff.; Pfarre St. Stephan, Wien; Pfarre Graz-Herz Jesu, Steiermark; Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Innsbruck, Tirol.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)