Blahetka, (Anna Maria) Leopoldine (1809–1885), Komponistin, Pianistin und Physharmonikaspielerin

Blahetka (Anna Maria) Leopoldine, Komponistin, Pianistin und Physharmonikaspielerin. Geb. Guntramsdorf (Niederösterreich), 15. 11. 1809; gest. Boulogne-sur-Mer (F), 17. 1. 1885; röm.-kath. Tochter von (Johann) Joseph (Leopold) Blahetka (1782–1857) und Barbara Sophia Blahetka, geb. Traeg (1787–1864), der Tochter des Komponisten Andreas Traeg und Nichte des Wiener Musikverlegers Johann (Baptist) Traeg. – B. wurde anfangs von ihrer Mutter unterwiesen und erhielt, nachdem die Familie nach Wien übersiedelt war, Klavierunterricht von Joachim Hoffmann, Joseph Czerny, →Katharina Koželuch, kurzzeitig auch von Friedrich Kalkbrenner und →Ignaz Moscheles. →Hieronymus Payer bildete sie im Physharmonika-Spiel aus. →Heinrich Eduard Josef von Lannoy unterrichtete sie im Generalbass, ihre Kompositionslehrer waren Payer und →Simon Sechter. →Ludwig van Beethoven, mit dem Joseph Blahetka in Verbindung stand, vermittelte den Klavierunterricht bei Czerny und soll den Werdegang der jungen Musikerin mit Ratschlägen begleitet haben. Einer Bitte Joseph Blahetkas an →Franz Schubert, für die Neunjährige ein Klavierkonzert zu schreiben, ist der Komponist anscheinend nicht nachgekommen. Ersten Auftritten 1818 und dem ersten eigenen Konzert Ende März 1819 folgte eine Karriere zunächst als Kindervirtuosin, wobei die Aufführung von Beethovens Klavierkonzert B-Dur op. 19 Anfang April 1820 von der Fachpresse besonders lobend hervorgehoben wurde. Konzertreisen führten 1821 nach Böhmen, 1825/26 nach München, Karlsruhe, Frankfurt am Main, Kassel, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Lübeck, Berlin, Leipzig, Pillnitz und Dresden. 1830 folgten Auftritte in weiteren Städten des deutschsprachigen Raums sowie Den Haag, Brüssel und London. Publikumswirksam waren dabei auch B.s Darbietungen auf der Physharmonika. Ihr Repertoire bestand aus Kompositionen von →Johann Nep. Hummel, Johann Baptist Cramer, Moscheles, Kalkbrenner und verschiedenen Wiener Komponisten, u. a. Czerny und Blahetka. Von 1823 an bezog sie auch eigene Kompositionen ein, darunter zahlreiche Variationen für Klavier (teilweise mit Orchesterbegleitung), eine Polonaise für Klavier und Violoncello (op. 9), die gemeinsam mit Léon de St. Lubin komponierten „Variations concertantes“ für Klavier und Violine (op. 3) und ein Konzertstück für Klavier und Orchester (op. 25). Während ihre Programme in der Wiener Presse meist Beifall fanden, war B. in Berlin 1825/26 mit einer Musikpresse konfrontiert, die ihr Modeseichtigkeit vorwarf (Adolph Bernhard Marx) und sie davor warnte, überhaupt eigene Kompositionen zu spielen (Ludwig Rellstab). Sie setzte ihre Praxis, neben anspruchsvollen Werken auch Unterhaltendes in ihre Programme einzubeziehen, jedoch erfolgreich fort und überraschte beispielsweise ihr Publikum in Den Haag mit einem eigens komponierten Potpourri über holländische Nationallieder, das später unter dem Titel „Erinnerungen an Holland“ gedruckt wurde. In den folgenden Jahren blieb Wien das Zentrum ihrer Konzerttätigkeit, wo sie v. a. mit eigenen Werken Erfolge feierte. Im Mai 1828 wirkte sie in einem Konzert Niccolò Paganinis mit (1. Satz aus dem Klavierkonzert von Henri Herz), im März 1829 führte sie nochmals ein Klavierkonzert von Beethoven auf. Auswärtige Auftritte fanden in Brünn und München (1830) sowie in London (Philharmonic Concerts, 1832) statt. Um 1833 übersiedelte die Musikerin mit ihren Eltern ins französische Seebad Boulogne-sur-Mer, wo sie ihre Konzert- und Kompositionstätigkeit fortsetzte. B. war eine der kommerziell erfolgreichsten Komponistinnen des 19. Jahrhunderts. Ihre Werke umfassen 65 nummerierte Opera und 12 Werke ohne Opuszahl, darunter Klavierwerke, Kammermusik und Lieder. Sie wurden, mit wenigen Ausnahmen, von zahlreichen deutschen, französischen und englischen Verlagen verbreitet. Namentlich in der Londoner Presse wurden Kompositionen B.s lobend besprochen. Eine ungedruckte Operette „Die Räuber und der Sänger“ nach einem Libretto von Georg von Hofmann erlebte am Kärntnertortheater nur eine Aufführung (März 1830).

Weitere W. (s. auch Rössl, 1986): Trio für Klavier, Violine und Violoncello; Sonate für Klavier und Violine; Sechs Deutsche Lieder; Fantaisie sur des motifs favoris du Chalet für Flöte und Klavier; zwei Streichquartette.
L.: Bernsdorf; Fétis; Grove, 2001; Mendel–Reissmann; MGG I (Erg.bd.), II; Riemann; Schilling; Wurzbach; Allgemeine musikalische Zeitung 4, 1820, Sp. 230; Wiener Theaterzeitung (Bäuerle) 17, 1824, S. 160; J. S. Sainsbury, A Dictionary of Musicians 1, 1825; L. Rellstab, in: Berliner Allgemeine musikalische Zeitung 2, 1825, S. 153f.; A. B. Marx, ebd. 3, 1826, S. 111; The Examiner 25, 1832, S. 374; A. I. Cohen, International Encyclopedia of Women Composers, 1981; E. Rössl, L. B. Eine Pianistin und Komponistin der Biedermeierzeit, DA Wien, 1986 (mit Bild und W.); C. M. Gruber, Nicht nur Mozarts Rivalinnen, 1990, S. 47ff. (mit Bild); F. Hoffmann, Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, 1991, S. 352ff. (mit Bild); E. Rössl, in: Biographische Beiträge zum Musikleben Wiens im 19. und frühen 20. Jahrhundert. L. B. E. Hanslick. R. Hirschfeld, ed. F. C. Heller, 1992, S. 111ff. (mit Bild); F. Hoffmann, in: Ich fahre in mein liebes Wien. C. Schumann: Fakten, Bilder, Projektionen, ed. E. Ostleitner – U. Simek, 1996, S. 111ff. (mit Bild); C. Lambour, in: Maßstab Beethoven? Komponistinnen im Schatten des Geniekults, ed. B. Brand – M. Helmig, 2001, S. 77ff.; Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (handschriftliche Biographie J. B.s von Joseph B.); Pfarre Guntramsdorf, Niederösterreich; Website des Sophie Drinker Instituts (mit Bild, Zugriff 24. 9. 2016).
(F. Hoffmann)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 91
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