Böhler, Albert (1845–1899), Großindustrieller

Böhler Albert, Großindustrieller. Geb. Frankfurt am Main, Freie Stadt (D), 20. 8. 1845; gest. Wien, 18. (nicht 10.) 10. 1899; evang. AB. Sohn des Frankfurter Handelsmanns Georg Friedrich Böhler (geb. Plauen, Sachsen / D, 5. 5. 1799) und dessen 2. Frau Sophie Louise Böhler, geb. Beringer, verwitwete Benner (geb. Waiblingen, Württemberg / D, 9. 12. 1813), Bruder von Emil Böhler (geb. 3. 1. 1843; gest. 22. 1. 1882), →Friedrich Böhler und des Unternehmers und Schattenbildkünstlers Otto Böhler (geb. Frankfurt am Main, 11. 11. 1847; gest. Wien, 5. 4. 1913); ledig. – B. gehörte einer angesehenen und wirtschaftlich gut situierten Industriellen-Familie an. Da seine Halbgeschwister aus der 1. Ehe des Vaters das florierende Frankfurter Kaufhaus übernahmen, zog er ohne direkte Teilhabe am Handelsunternehmen 1864 nach Paris, wo er zuerst in der Handelsfirma Fred. Ingelbach und Schleicher, später bei Landmann und Encke tätig war und sich eine solide kaufmännische Ausbildung erwerben konnte. 1867 suchte er um Entlassung aus dem preußischen Untertansverband an, was jedoch abgelehnt wurde, weshalb er Heeresdienst leisten musste. 1870 ging B. mit seinem Bruder Emil Böhler nach Wien, wo die beiden die offene Handelsgesellschaft Gebr. Böhler & Co. gründeten. Die Brüder besaßen das Vertretungsrecht, wobei B. als Stahl- und Stahlwarenhändler mit Wohnsitz in Wien auftrat. Für die Firmengründung wichtige Faktoren dürften der elterliche kaufmännische Hintergrund, der finanzielle Rückhalt sowie die familiären und geschäftlichen Beziehungen des Frankfurter Handelshauses Böhler zu bedeutenden österreichischen Heereslieferanten gewesen sein. Die Firma mit Geschäftslokal in Wien 1 hatte den Zweck, ausschließlich steiermärkische Stahlsorten zu vertreiben, und verfügte über den Alleinvertretungsvertrag für die Stähle der Kapfenberger k. k. privilegierten Gussstahlfabrik von →Franz Freiherr Mayr von Melnhof. B. widmete sich anfänglich der Kundenbetreuung und unternahm regelmäßig Geschäftsreisen im In- und Ausland. Der Kauf des Walz- und Schmiedewerks Bruckbacherhütte bei Waidhofen an der Ybbs in Niederösterreich 1872 legte den Grundstein für den Ausbau des reinen Handelsunternehmens zum späteren produzierenden industriellen Großbetrieb. Durch das nunmehr selbst durchgeführte Walzen und Schmieden konnte die Qualität des Stahls besser kontrolliert werden, und so etablierte sich bald der Begriff „Böhlerstahl“ als Händlermarke, die für steirischen Qualitätsstahl stand. 1878 wurden Vertretungen in Hamburg und Kopenhagen sowie 1879 in Moskau, St. Petersburg, Kiew und Gleiwitz eingerichtet. Anfang der 1880er-Jahre stand Gebr. Böhler & Co. an der Schwelle zum Großunternehmen. Der Kapfenberger Alleinvertretungsvertrag blieb auch nach der Eingliederung des Werks in die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881 aufrecht. Nach dem Tod Emil Böhlers 1882 folgten mehrere Firmen-Umstrukturierungen, wobei B. ab 1885 die Firmenleitung innehatte, die er sich wahrscheinlich ab 1889 mit seinem 1875 in das Unternehmen eingetretenen Bruder Friedrich Böhler teilte. Die Firma Gebr. Böhler & Co. verfügte nun über die faktische Beherrschung des Inlandsmarkts und expandierte ins Ausland, u. a. nach Deutschland, Frankreich, Spanien sowie Russland. Unter B.s Leitung entwickelte sich die Firma Böhler in den 1890er-Jahren zum industriellen Großbetrieb. Wichtigste Marksteine in dieser Entwicklung stellten 1891 der Kauf der Feilen- und Gußstahlfabrik G. Fischer in Hainfeld und deren späterer Ausbau, die Verlegung des gesamten Betriebs in das Ybbstal und die dortige Entstehung der Arbeitersiedlung Böhlerwerk sowie 1894 der Kauf des Kapfenberger Werks von der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft dar. 1892 wurde eine Werkzeug- und Feilenherstellung sowie 1893 ein Stahllager und ein Verwaltungsgebäude in Böhlerwerk errichtet. Ende der 1890er-Jahre war die Firma Böhler zu einem Konzern geworden, in dem verschiedene Industriebetriebe und Absatzorganisationen zusammenspielten und der mehr als 1.600 Mitarbeiter zählte. Vier Monate vor B.s Tod erfolgte 1899 die Gründung der Gebr. Böhler & Co. Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin und B. als Vorstandsmitglied. B.s Arbeit ist von der seiner Brüder kaum getrennt zu sehen. Er hat jedoch die ersten drei Jahrzehnte der Firma Böhler maßgeblich in einer führenden Rolle beeinflusst. Privat repräsentierte er in seiner Wiener Wohnung den typischen, gehobenen Lebensstil eines erfolgreichen Industriellen, bei dessen Festen auch Angehörige des Kaiserhauses vertreten waren. Bei seinem Tod war B. registrierter öffentlicher Gesellschafter der protokollierten Bergwerks- und Hüttenproducten-Handelsfirma Gebr. Böhler & Co, der Walz- und Hammerwerksfirma in Bruckbach in der Gemeinde Sonntagberg, der Hammerwerksfirma Gebr. Böhler in Rien und der Firma k. k. priv. Gussstahlwarenfabrik von G. Fischer Nachfolger Gebr. Böhler & Co in Hainfeld. B. war Träger des Ritterkreuzes des Franz Joseph-Ordens (1893), des königlich-preußischen Roten Adler-Ordens IV. Klasse (1897) und des Ritterkreuzes des belgischen Leopoldordens (1898), das ihm für seine Tätigkeit als Vizepräsident der Jury der metallurgischen Sektion bei der Weltausstellung 1897 in Brüssel verliehen worden war.

L.: NFP, 19. (Abendausgabe), 20., WZ, 20., Prager Tagblatt, 21. 10. 1899 (Parten); O. Böhler, Geschichte der Gebr. Böhler & Co. AG. 1870–1940, 1941; J. Mentschl, Österreichische Wirtschaftspioniere, 1959, S. 100ff.; ders. – G. Otruba, Österreichische Industrielle und Bankiers, 1965, S. 162ff.; 100 Jahre Böhler Edelstahl: 1870–1970, (um 1970); Personenlexikon Österreich, ed. E. Bruckmüller, 2001; M. Salzer – P. Karner, Vom Christbaum zur Ringstraße, 2008, S. 197; Website Böhler Edelstahl (Zugriff 12. 1. 2016); WStLA, Wien.
(K. Bergmann-Pfleger)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 96
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>