Böhm, Joseph Daniel (1794–1865), Bildhauer, Medailleur und Sammler

Böhm Joseph Daniel, Bildhauer, Medailleur und Sammler. Geb. Wallendorf, Ungarn (Spišské Vlachy, SK), 16. 3. 1794; gest. Wien, 15. 8. 1865; evang., ab 1822 röm.-kath. Vater von Sir →Joseph Edgar Böhm; ab 1823 in 1. Ehe mit Aloysia Böhm, geb. Lussmann (1797–1839), ab 1846 in 2. Ehe mit Barbara Schröder (1819–1881) verheiratet; fünf Kinder. – Nach dem frühen Tod seines Vaters kam B. vorerst in die Lehre bei dem Kaufmann Ferdinand Ochsz in Zipser Neudorf (Spišská Nová Ves), wo er sich bereits mit dem Schnitzen von Figuren aus Obstkernen beschäftigte, anschließend nach Leutschau (Levoča) in die Werkstatt des Malers Zausing. 1813–19 studierte B. an der Wiener Akademie der bildenden Künste (1818 Gundel- und Reichel-Preis). In der Folge fertigte er verschiedene Kameen und Porträtschnitte aus Kelheimer Kalkstein, Karniol etc. sowie Schmuck in Form von feinstem Schnitzwerk aus Marillen- und Kirschkernen, wodurch →Moritz Christian Gf. Fries auf ihn aufmerksam wurde. Ein Collier mit aus Kirschkernen geschnitzten Figuren und Motiven, die den Wiener Kongress widerspiegeln, soll besonders einzigartig gewesen sein und wurde von Fries angekauft. Durch diesen lernte B. auch →Franz Rechberger, den Kustos der Fries’schen Kunstsammlung kennen, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Dessen umfangreiches Wissen über Kunstgeschichte sowie Kontakte zur kunstsinnigen Gesellschaft Wiens übten Einfluss auf B.s weitere Entwicklung und Kunstgeschmack aus. Mit finanzieller Unterstützung Fries’ und zum Teil auf eigene Kosten reiste B. 1821 nach Rom, wo er Bertel Thorvaldsen, Friedrich Overbeck und (wahrscheinlich) →Antonio Canova kennenlernte und sich neben dem Steinschneiden hauptsächlich mit dem Anfertigen von Kopien antiker Figuren und Motive beschäftigte. Die christlich-romantische Atmosphäre in Rom und der Lukasbund übten auf ihn einen großen Einfluss aus: Obwohl B. selbst vermutlich nie Mitglied der Lukasbrüder war, hatte er eine enge Verbindung zu ihnen. 1822 kehrte er über Orvieto und Perugia nach Wien zurück und beteiligte sich unter der Leitung von →Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld an der dekorativen Ausgestaltung des Speisesaals von Erzherzog →Johanns Gut „Brandhof“. Ende 1825 reiste B. ein zweites Mal nach Rom und pflegte dort unter anderem Kontakt mit →Franz Kadlík, →Franz Kässmann und →Eduard Jakob von Steinle. Im September 1829 kam er wieder nach Wien, wo er nun überwiegend als Medailleur tätig wurde: Zu Beginn orientierte er sich stark an der Antike und dem Klassizismus, kam jedoch durch den Einfluss der romantischen Bewegung bald zu historistisch geprägten Darstellungen. Für die feine, detailreiche und charakteristische Abbildung auf Münzen, Medaillen sowie Porträtschnitten aus Kelheimer Stein wurde B. berühmt. 1831 wurde er zum Kammermedailleur ernannt. 1836–62 fungierte er als Direktor der Graveurakademie am Hauptmünzamt; zu seinen Schülern zählten →Josef Tautenhayn d. Ä. und →Anton Scharff. Neben seiner beruflichen Tätigkeit richtete B. in seinem Haus eine große Kunstsammlung ein und veranstaltete salonähnliche Treffen zu kunstrelevanten Themen, an denen z. B. →Karl Radnitzky und →Rudolf von Eitelberger-Edelberg teilnahmen. Sein Einfluss auf die Wiener Schule der Kunstgeschichte wirkte besonders durch Eitelberger nach, der sich in seiner Lehrmethode stark an ihm orientierte: So vertrat B. vor allem die Individualität des Einzelkunstwerks (induktive Methode) und setzte sich verstärkt für eine Orientierung am Mittelalter (Gefühl und Bewegung) neben der Antike ein. Nach seinem Tod wurde die 2.610 Werke umfassende Kunstsammlung versteigert; Teile davon befinden sich heute in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums, Wien, in der Gemäldegalerie Dresden, im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle und im British Museum, London.

Weitere W.: s. Mayr.
L.: AKL; Czeike; Die Wr. Ringstraße 9/3; Forrer; Thieme–Becker; Wurzbach; J. v. Schlosser, Die Wiener Schule der Kunstgeschichte, 1934, S. 145ff.; L. Huszár, in: Acta historiae artium academiae scientiarum hungaricae 1954/55, 1954, S. 313ff.; B. Koch, Die Wiener Münze, 1989; A. Grundner-Rosenkranz, Die Medaillenproduktion Kaiser Ferdinands I. (1835–1848) anhand bisher unerforschter Quellen, geistes- und kulturwiss. DA Wien, 2003; W. Telesko, Kulturraum Österreich, 2008, S. 368; A. Mayr, J. D. B. (1794–1865) …, hist.-kulturwiss. DA Wien, 2013 (m. W. u. L.); ABK, Wien.
(A. Mayr)   
Zuletzt aktualisiert: 15.11.2014  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 3 (15.11.2014)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 96
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Medien
B.s Grabmal auf dem ehem. Matzleinsdorfer Friedhof, heute: Waldmüller-Park in Wien 10