Bohatec Josef Franz (Josef František), Theologe. Geb. Kochow, Mähren (Kochov, Tschechien), 26. 1. 1876; gest. Weidenau (Siegen, Deutschland), 6. 6. 1954; evang. HB. Sohn des Gutsbesitzers Joseph Bohatec und seiner Frau Anna Bohatec, geb. Skrabalová; ab 1914 verheiratet mit Martha Bohatec, geb. Melmer (1890–1952). – Nach Absolvierung des tschechischen Gymnasiums in Brünn studierte Bohatec evangelische Theologie in Wien (ab 1896, Examen 1901, Lic. theol. 1905) und Philosophie in Prag (Dr. phil. 1903). Die ausgedehnte Studiendauer mit Ergänzungsstudien (klassische, deutsche und romanische Philologie, Sozialwissenschaft und Jurisprudenz) in Halle an der Saale, Berlin und Erlangen ermöglichte ein Stipendium, das zu einem akademischen Lehramt führen sollte. Da die Wiener Fakultät eine Hausberufung ablehnte, war Bohatec zur Habilitation an einer ausländischen Universität gezwungen. Er wechselte deshalb nach Halle an der Saale und später nach Elberfeld, wo er nach der Ordination zum geistlichen Amt (1909) als Studieninspektor am Reformierten Predigerseminar wirkte. Als wissenschaftlichen Schwerpunkt wählte Bohatec Johannes Calvin. Seine Wiener Dissertation (1905) publizierte er in der Elberfelder Festschrift zum 400. Geburtstag des Reformators („Calvins Vorsehungslehre“, in: Calvinstudien, red. J. Bohatec, 1909). Durch die räumliche Nähe zu den Niederlanden fand er Zugang zum Neocalvinismus des Theologen und Politikers Abraham Kuyper, der den Calvinismus nicht nur zu aktualisieren trachtete, sondern als kulturprägende Lebensform und Weltanschauung proklamierte, bei aller Öffnung zur Moderne aber zugleich Kritik an Liberalismus und Säkularismus übte. In den Zeitschriften „Philosophia Reformata“ (ab 1936) und „Antirevolutionaire Staatkunde“ (ab 1926) entfaltete Kuyper dieses Programm einer christlichen Philosophie und Politikwissenschaft. Bohatec wirkte im wissenschaftlichen Beirat mit, hielt sich zur Vereniging voor Calvinistische Wijsbegeerte und referierte auf den Kongressen der Gereformeerde Kerk, einer aus Protest gegen die liberale Haltung in der Reformierten Kirche (Hervormde Kerk) gebildeten Abspaltung. 1912 habilitierte er sich mit der Untersuchung „Die cartesianische Scholastik in der Philosophie und reformierten Dogmatik des 17. Jahrhunderts“ an der Universität Bonn für Kirchen- und Dogmengeschichte, was die Voraussetzung für die langerwartete Rückberufung nach Wien lieferte. 1913 wurde er dort zum ao. Professor für Reformierte Theologie und drei Jahre später zum Ordinarius für Systematische Theologie und Pädagogik ernannt. 1920 wurde sein Lehrauftrag auf Kirchenrecht und Religionsphilosophie erweitert. Man setzte ihn aber auch zur Supplierung biblischer, kirchengeschichtlicher und praktisch-theologischer Lehrveranstaltungen ein. Berufungen an andere Ausbildungsstätten (Prag, Amsterdam) lehnte er mit Rücksicht auf die Singularität des Reformierten Lehrstuhls in Wien ab. 1918/19, 1923/24, 1929/30 und 1934/35 bekleidete er das Amt des Dekans. Im Unterschied zur Mehrheit seiner Fakultätskollegen stand er in einem positiven Verhältnis zum „Christlichen Ständestaat“ (Mitglied der Vaterländischen Front 1934–38), der durch seine Ableitung von der Autorität Gottes und seine Würdigung des Naturrechts neocalvinistischen Prämissen entgegenkam. So konnte er mit einem Calvin-Zitat die „Invocatio Dei“ der Verfassung des Ständestaats als „im Ursprung ganz reformatorisch“ begrüßen. Er hielt Vorlesungen über Dogmatik, Kirchenrecht, Symbolik, Pädagogik, Religionsphilosophie (mit Schwerpunkt Kant, Schopenhauer und Nietzsche), Ethik, aber auch regelmäßig Seminare zu Schriften von Schleiermacher, zu Tolstoi und Dostojewski bzw. zu den religionsphilosophischen Grundlagen des russischen und englischen Imperialismus. In seinem wissenschaftlichen Fokus stand vornehmlich Calvin, v. a. auch dessen Rechtslehre („Calvin und das Recht“, 1934, Nachdruck 1971; „Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens“, 1937, Nachdruck 1968). Es sind historische Themen, die Bohatec aufgriff, dennoch darf er nicht als rückwärtsgewandter Vertreter eines reformierten Konservativismus verstanden werden, auch wenn er an den Säkularisierungstendenzen der Moderne Kritik übte. Seine historische Analyse galt dem Naturrecht und dem von Calvin proklamierten Widerstandsrecht: Wenn sich die Obrigkeit gegen die Autorität Gottes wendet, sei Widerstand geboten, eine gewagte Aussage zu einem Zeitpunkt, als der NS-Staat bereits die Grundfeste der demokratischen Gesellschaftsordnung zerschlagen hatte. Nach Ablauf eines „Ehrenjahres“ wurde Bohatec zwar 1947 in den Ruhestand versetzt, aber gleichzeitig zum Honorarprofessor ernannt und bis Ende Jänner 1951 mit der Durchführung von Lehrveranstaltungen betraut. Sein reformierter Kollege Jan Weerda in Erlangen fasste die Bedeutung Bohatecʼ in seinem Beileidsschreiben zusammen: In ihm habe nicht nur die Fakultät einen „Lehrer großen Formats verloren“, einen Gelehrten, „dem wir im deutschen Sprachgebiet für die Geschichte der reformierten Theologie Außerordentliches verdanken (…). Es dürfte wohl (…) keiner mehr am Werke sein, der so wie er imstande wäre, die entsprechenden Aufgaben wahrzunehmen.“ Bohatec war Ehrenmitglied der Historisch Genootschap te Utrecht sowie der Pilgrim Fathers Genootschap te Leiden. Er erhielt Ehrenprofessuren in Pápa und Debrecen sowie Ehrendoktorate der Universitäten Bonn, 1916 (Dr. theol.), Amsterdam, 1950 (Dr. iur.) und Wien, 1951 (Dr. theol.). Er wurde 1965 auf der Ehrentafel der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien eingetragen.