Bolla-Kotek Sibylle, geb. Bolla von Csáford und Jobbaháza, Rechtshistorikerin. Geb. Pressburg, Ungarn (Bratislava, Slowakei), 8. 6. 1913; gest. Wien, 22. 2. 1969; röm.-kath. Tochter des Husarenoffiziers Gedeon Bolla von Csáford und Jobbaháza (gest. 1929) und dessen Frau Margarethe, geb. Lieblein; ab 1950 verheiratet mit dem Arzt Alfred Kotek (geb. Klein-Neusiedl, Niederösterreich, 19. 5. 1909; gest. Wien, 20. 2. 1969). – Bolla-Kotek studierte 1931–35 Rechtswissenschaften an der Deutschen Universität in Prag; Dr. iur. 1935. Nach anfänglichem Zögern und einer kurzen Zeit in der Rechtspraxis schlug sie auf Zuraten ihres akademischen Lehrers Egon Weiß die universitäre Karriere ein und habilitierte sich 1938 mit der Schrift „Die Entwicklung des Fiskus zum Privatrechtssubjekt mit Beiträgen zur Lehre vom aerarium“ für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte. Neben Weiß, der rechtsvergleichend arbeitete, war für sie auch Leopold Wenger prägend. Noch vor Abschluss ihrer Habilitation verbrachte Bolla-Kotek einen Forschungsaufenthalt bei Wenger in Wien. Dort vertiefte sie sich anhand des Studiums von Papyri und keilschriftlichen Urkunden in die antike Rechtsgeschichte. Nach ihrer Habilitation setzte sie am Münchner Institut für Papyrusforschung bei Mariano San Nicolò ihre Studien zum Keilschriftrecht fort. 1940 erschien ihre bemerkenswerte Monographie „Untersuchungen zur Tiermiete und Viehpacht im Altertum“ (2. Auflage 1969). Darin zog Bolla-Kotek bis dahin unbekanntes Quellenmaterial heran und arbeitete in rechtsvergleichender Weise Übereinstimmungen im Bereich der Tiermiete und Viehpacht u. a. im römischen Recht, in den sogenannten Volksrechten, aber auch im neubabylonischen Recht heraus. Sie ging dabei von der Theorie der „selbstständigen Gleichbildung“ aus. 1939–45 lehrte sie römisches Recht und antike Rechtsgeschichte sowie bürgerliches Recht an der Deutschen Universität in Prag, 1944 erfolgte ihre Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. 1945 musste Bolla-Kotek aus Prag flüchten und lebte anfangs bei Verwandten in Tirol. Anschließend zog sie nach Wien, wo sie zunächst als Sachbearbeiterin im Fachverband der österreichischen Textilindustrie arbeitete. 1947 konnte sie ihre wissenschaftliche Tätigkeit wieder aufnehmen und erhielt eine Lehrbefugnis an der Wiener Juristischen Fakultät für römisches Recht, antike Rechtsgeschichte und österreichisches bürgerliches Recht. 1948 wurde ihr der Titel eines ao. Professors verliehen, die Ernennungen zum Extraordinarius (1949) bzw. zum o. Professor (1956) folgten. Damit war sie die erste Rechtsprofessorin an einer österreichischen Universität. An der Universität Wien erweiterte Bolla-Kotek ihre Forschungsgebiete, zu den neuen Schwerpunkten gehörten das moderne Erbrecht und das Internationale Privatrecht. Gleichzeitig blieb sie jedoch auch der rechtshistorischen Forschung treu. Ihre Publikationen spiegeln diese Vielfalt an Interessen wider. Rechtsvergleichende Untersuchungen bündelten diese unterschiedlichen Bereiche, so v. a. ihr 1950 erschienenes Werk „Aus römischem und bürgerlichem Erbrecht“. Zusätzlich publizierte sie mehrere Aufsätze zum römischen Erbrecht und beschäftigte sich auch mit Fragen der Rezeptionsgeschichte („Hergang der Rezeption in den böhmischen Ländern“, in: L’Europa e il diritto romano. Studi in memoria di P. Koschaker 1, 1954). Als einer ihrer bedeutenden Beiträge zum modernen Recht ist „Grundriß des österreichischen Internationalen Privatrechtes“ (1952) zu nennen. Ein weiterer Fokus ihrer Arbeiten lag auf dem Arbeitsrecht. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und dem Engagement in der universitären Lehre war Bolla-Kotek auch in rechtspraktischen Funktionen aktiv, so u. a. ab 1968 als Beisitzerin im Kartellobergericht beim Obersten Gerichtshof. Ihr zu Ehren wurde eines der „Tore der Erinnerung“ im Wiener Universitätscampus „Bolla-Kotek-Tor“ benannt.