Borodajkewycz, Taras von; bis 1919 von Borodajkewycz, Ps. Heinrich Langer (1902–1984), Historiker und Archivar

Borodajkewycz Taras, bis 1919 von Borodajkewycz, Ps. Heinrich Langer, Historiker und Archivar. Geb. Wien, 1. 10. 1902; gest. Wien, 3. 1. 1984; griech.-kath., ab 1922 röm.-kath. Sohn des k. k. Staatsbahnrats und späteren Direktoriumsbeamten der Tschechoslowakischen Staatsbahnen Ing. Wladimir (Wlodimir) von Borodajkewycz (geb. Stryi, Galizien/Ukraine, 23. 4. 1875; gest. vor 1955) und seiner Frau Henriette von Borodajkewycz, geb. Löwe-Dinstl (geb. Wien, 18. 11. 1876; gest. 1954); ab 1933 verheiratet mit Hilde (Kriemhilde) Borodajkewycz, geb. Langer (geb. Triest, Freie Stadt / Trieste, Italien, 16. 12. 1912; gest. 13. 9. 1996). ‒ Nach den Volksschulen in Stryi und Gumpoldskirchen besuchte Borodajkewycz das Kaiser Franz Josef-Landes-Gymnasium (ab 1919 Nieder-Österreichisches Landes-Gymnasium) in Baden, wo er 1922 maturierte. Daran schlossen sich Studien an der Theologischen, Philosophischen sowie Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien an. 1932 promovierte Borodajkewycz bei Heinrich Srbik zum Dr. phil. Im Jänner 1932 begann er an der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs mit der editorischen Bearbeitung der Gelehrtenkorrespondenz von →Leo Graf von Thun und Hohenstein. Im Frühjahr 1937 folgte – auf wissenschaftlich dürftiger Basis – die Habilitation an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, mit der Borodajkewycz die venia legendi für Allgemeine Geschichte der Neuzeit erwarb. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde er an der Universität Wien 1940 zum Dozenten neuer Ordnung ernannt. Er nahm politisch motivierte Auftragsarbeiten wie ein „Weißbuch über die Heimkehr der Ostmark ins Reich“ an. Im Oktober 1942 wurde Borodajkewycz an die Deutsche Karls-Universität in Prag berufen. Auf dem dort neu geschaffenen Extraordinariat für neuere Geschichte konnte er allerdings erst im Jänner 1943 seine Lehrtätigkeit aufnehmen, da er im Oktober 1942 zum Wehrdienst bei der Luftwaffe eingezogen worden war. Bis Kriegsende durfte er die Stelle in Prag aufgrund des Widerstands in Parteikreisen nur vertretungsweise wahrnehmen. Die Berufung zum Leiter des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Zagreb scheiterte 1941 am Widerstand von Kurt Knoll, dem Rektor der Wiener Hochschule für Welthandel. Parallel zu seiner Tätigkeit als Historiker verfolgte Borodajkewycz die Archivarslaufbahn. So belegte er ab 1929 bis zur Staatsprüfung im Dezember 1931 den Ausbildungskurs des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung. 1934‒45 arbeitete er sich am Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv bis zum Archivrat hoch. Organisatorisch sowie politisch engagierte sich Borodajkewycz seit den 1930er-Jahren im katholischen wie auch im nationalsozialistischen Milieu, die er für kompatibel hielt. So fungierte er als Sekretär und Mitglied von zwei Arbeitsausschüssen des Allgemeinen Deutschen Katholikentags, der im September 1933 in Wien stattfand. Außerdem beteiligte er sich in der Zwischenkriegszeit an den von der Görres-Gesellschaft organisierten Salzburger Hochschulwochen. Gelegentlich gestaltete er Sendungen für die RAVAG bzw. den Reichssender Wien. Nachdem er 1934 der NSDAP (aber auch der Vaterländischen Front) beigetreten war, fungierte Borodajkewycz während der „Verbotszeit“ als Blockleiter, später war er Schulungsleiter der Wiener Ortsgruppe Magdalenengrund. Zwischen Februar 1935 und dem „Anschluss“ Österreichs war er für den Sicherheitsdienst der SS tätig (Anerkennung als „Alter Kämpfer“ der NSDAP 1938, Ostmark-Medaille 1939). Borodajkewyczs Parteiausschluss von 1943 wegen „defätistischer Aussagen“ wurde vom Wiener Gaugericht in einen strengen Verweis umgewandelt. Anfang April 1945 floh Borodajkewycz aus Prag zu seiner Familie nach Neuenhammer in der Oberpfalz. Nach Österreich kehrte die Familie im Juni 1946 zurück. Hier musste Borodajkewycz sich als ehemaliger Nationalsozialist registrieren. Anfangs als „Belasteter“ klassifiziert, wurde er im Jänner 1950 als „minderbelastet“ eingestuft. Im Juni 1945 aus dem Staatsdienst entlassen, war Borodajkewycz zunächst im Verlagswesen (1946–52 Otto Müller, ab 1953 Holzhausen Nachf.) und in wissenschaftlichen Projekten (Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst; 1951–54 Herausgabe des Srbik-Nachlasses) tätig, ehe er im März 1955 zum ao. Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Welthandel berufen wurde. Hier avancierte er im November 1958 zum Vorstand des Instituts für Wirtschaftsgeschichte, das unter seiner Ägide in Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte umbenannt wurde. Auch nach 1945 blieb Borodajkewycz dem deutschnationalen und katholisch-konservativen Lager verbunden. Dies manifestierte sich u. a. in der Teilnahme an der Oberweiser Konferenz (Juni 1949), in der Kandidatur für den Verband der Unabhängigen bei den Nationalratswahlen von 1953 sowie in Mitgliedschaften und Ämtern, die Borodajkewycz in entsprechenden Vereinigungen oder Kreisen wahrnahm (z. B. Ennstaler Kreis, Neuer Klub, Verein „Muttersprache“). Die Tatsache, dass Borodajkewycz’ Lehrtätigkeit und seine Publikationen nicht frei von antisemitischen Äußerungen und antidemokratischem, großdeutsch-nationalsozialistischem Gedankengut waren, führte in den 1960er-Jahren zu Gerichtsverfahren, einer parlamentarischen Anfrage und Demonstrationen, in deren Verlauf am 31. März 1965 der rechtsextreme Student Gunther Kümel den ehemaligen kommunistischen Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger tödlich verletzte. Im Zuge eines Disziplinarverfahrens wurde Borodajkewycz beurlaubt, dann vom Dienst suspendiert und mit Oktober 1972 in den Ruhestand versetzt. Auch danach hielt er Vorträge in rechtsgerichteten Organisationen und veröffentlichte einschlägige Schriften. Borodajkewycz war u. a. Mitglied der Katholischen akademischen Verbindung Norica Wien (1924), des Volksdeutschen Arbeitskreises österreichischer Katholiken (1932), der Deutschen Philosophischen Gesellschaft (1935), des Katholischen Akademikerverbands Deutschlands, des Kuratoriums der Ferien-Hochschulkurse der Universität Wien in Schloss Traunsee, der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft (Vizepräsident) sowie des Allgemeinen Deutschen Kulturverbands (1958, zeitweilig Obmann). Er erhielt 1934 das Ehrenkreuz Pro Ecclesia et Pontifice in Gold.

Weitere W.: Deutscher Geist und Katholizismus im 19. Jahrhundert. Am Entwicklungsgang Constantins von Höfler dargestellt, 1935; Die Kirche in Österreich, in: Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raum, ed. J. Nadler ‒ H. v. Srbik, 1936; Konrad Millers Lebenswerk – Konrad Miller’s life-work, 1936; Kaiser und Reichserzkanzler bei Beginn des spanischen Erbfolgekrieges, in: Historische Blätter 7, 1937; Leo Thun und Onno Klopp. Ein Gespräch nach Königgrätz um Österreichs Wesen und Zukunft, in: Gesamtdeutsche Vergangenheit. Festgabe für Heinrich Ritter von Srbik zum 60. Geburtstag …, 1938; Wirtschaftswissenschaft und Geschichte. Antrittsvorlesung, gehalten an der Hochschule für Welthandel in Wien am 3. Mai 1955, 1955; Bischof und Domdechant. Franz Xaver Schwäbl und Melchior von Diepenbrock, in: Festschrift für Karl Gottfried Hugelmann zum 80. Geburtstag … 1, ed. W. Wegener, 1959; Jugend und Geschichtsbewusstsein. Festrede auf einer Jahrestagung des Witikobundes in Deutschland …, in: Beiträge des Witikobundes zu Fragen der Zeit 10, 1962; Geschichtliche Probleme deutsch-tschechischer Begegnung, in: Die Sudetenfrage in europäischer Sicht. Bericht über die Vorträge und Aussprachen der wissenschaftlichen Fachtagung des Collegium Carolinum …, 1962; Aus der Frühzeit der Wiener Schule der Kunstgeschichte: Rudolf Eitelberger und Leo Thun, in: Festschrift für Hans Sedlmayr, ed. K. Oettinger ‒ M. Rassem, 1962; Gewerbefreiheit und konservativer Geist, in: Festschrift Walter Heinrich. Ein Beitrag zur Ganzheitsforschung, 1963; Die Reichsidee des Mittelalters, in: Reichsidee und Nationalstaatsgedanke, 1963; Gedanken zum 1. September 1939 und seinen Folgen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1964, B 36/64; Saint-Germain. Diktat gegen Selbstbestimmung, 1969; Wegmarken der Geschichte Österreichs, 1972.
L.: Die Presse, 11. 1. 1984; Die geistige Elite Österreichs, ed. M. Klang, 1936; W. Bouffier, in: Der österreichische Betriebswirt 12, 1962, H. 2, S. 61f.; H. Fischer, Einer im Vordergrund: Taras Borodajkewycz. Eine Dokumentation, 1966 (Nachdruck 2015); C. Gatterer, in: Die Zeit, 1966, Nr. 22; E. Schmidt ‒ A. K. Konecny, „Heil Borodajkewycz!“ Österreichs Demokraten im Kampf gegen Professor Borodajkewycz und seine Hintermänner, 1966; Neue Ordnung, 1984, Nr. 2/3, S. 20 (mit Bild); J. Hager, in: Geschichte und Gegenwart 15, 1996, S. 169ff.; Ch. Dickinger, Die Skandale der Republik. Haider, Proksch & Co., 2001, S. 55ff.; F. Fellner ‒ D. A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, 2006; G. Kasemir, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, ed. M. Gehler ‒ H. Sickinger, 2. Aufl. 2007, S. 486ff.; R. Kropiunigg, Eine österreichische Affäre. Der Fall Borodajkewycz, 2015; J. Nĕmec, in: Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, 3, ed. K. Hruza, 2019, S. 527ff.; K. Kniefacz, Die Borodajkewycz-Affäre 1965, in: 650 plus – Geschichte der Universität Wien (online, mit Bild, Zugriff 21. 11. 2023); F. Lacina, Mitschrift einer Vorlesung von Taras Borodajkewycz, in: Haus der Geschichte Österreichs (online, Zugriff 21. 11. 2023); Griechisch-katholische Pfarre Zur Heiligen Barbara, Wien; ÖStA Wien / KA Nachlass Taras Borodajkewycz; ÖStA Wien / AdR Unterrichtsministerium (Personalakt), Innenministerium (Gauakt) und Beschwerdekommission zu Taras Borodajkewycz; ÖStA Wien / HHStA Personalien Taras Borodajkewycz; UA Wien / Rigorosenakt und Personalakt Taras Borodajkewycz; Archiv der Wirtschaftsuniversität Wien / Personalakt Taras Borodajkewycz und Akten der Disziplinarkommission an der Hochschule für Welthandel; Bundesarchiv Berlin / Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung; Bundesarchiv Berlin / Der Kurator der deutschen wissenschaftlichen Hochschulen in Prag und Kommissar der geschlossenen tschechischen Hochschulen; Bundesarchiv Berlin / Deutsche Forschungsgemeinschaft.
(Johannes Koll)   
Zuletzt aktualisiert: 15.7.2024  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 12 (15.07.2024)