Brezina (Březina) Aristides, Mineraloge und Kristallograph. Geb. Wien, 4. 5. 1848; gest. ebd., 25. 5. 1909. Sohn des Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Severin Brezina (1805–1880) und der Ottilie Brezina, verschwägert mit →Rudolf Koechlin; ab 1877 verheiratet mit Marie Koechlin (1858–1946), der Tochter von →Karl Koechlin. – Nach der Matura am Akademischen Gymnasium in Wien 1866 war B. wie auch sein Bruder für die Übernahme der väterlichen Notariatskanzlei vorgesehen. Aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Interessen war er jedoch bereits mit 14 Jahren als Eleve am Hofmineralienkabinett aufgenommen worden, wo er 1862–64 bei →Moriz Hoernes seine Kenntnisse vertiefte. Ab 1865 besuchte er als ao. Hörer Vorlesungen bei →Albrecht Schrauf, →Eduard Sueß und →Gustav Edler Tschermak von Seysenegg an der Universität Wien. Ab 1866 studierte er dort als o. Hörer Mathematik und Physik bei →Josef Stefan und →Victor von Lang, wo er erstmals mit Kristallographie und Kristallphysik in Berührung kam. Daneben war B. Praktikant im chemischen Labor des polytechnischen Instituts und befasste sich auch weiterhin mit physikalischen und kristallographischen Untersuchungen am Hofmineralienkabinett. 1868/69 studierte B. an der Universität Berlin Mathematik und wurde dort durch den Mineralogen Gustav Rose mit einer umfassenden und modernen Kristallographie sowie mit neuen Messmethoden vertraut. 1869 übernahm er eine Assistentenstelle am Hofmineralienkabinett in Wien; 1873 Dr. der Naturwissenschaften an der Universität Tübingen, 1874 Privatdozent für Kristallographie in Wien. 1874–85 bereitete B. gemeinsam mit →Friedrich Berwerth die Übersiedelung der Sammlungen des Hofmineralienkabinetts in den Museumsbau am Burgring vor. 1876 gelang ihm die Errichtung eines eigenen kristallographischen Labors im Paläontologischen Institut der Universität Wien, das Scheitern der Implementierung eines selbstständigen Instituts veranlasste ihn, 1892 seine Venia legendi zurückzulegen. 1877 übernahm B. auch die Verwaltung der Meteoritensammlung des Hofmineralienkabinetts. Anfangs Sammlungsleiter und ab 1889 Direktor der Mineralogisch-Petrographischen Abteilung, war B. für die Erweiterung der Bestände zuständig, wozu er Sammlungsreisen nach Dubnik im Komitat Sáros (1885), nach St. Joachimsthal (1886) sowie nach Italien (1887) und Deutschland (1893) unternahm. Auf der Pariser Weltausstellung 1889 erhielt er von amerikanischen und mexikanischen Mineralien- und Meteoritensammlern sowie von Händlern zahlreiche Objekte. Sein Ziel, die Wiener Meteoritensammlung zur weltweit bedeutendsten zu machen, überschritt allerdings die finanziellen Mittel bei Weitem. 1896 wurde B. daher suspendiert und in den Ruhestand versetzt. Vorangegangen war ein monatelanges Disziplinarverfahren mit Anschuldigungen seitens der Kollegenschaft, die ihm die Überziehung des Abteilungsbudgets, Missbrauch bewilligter Gelder, unrichtige Buchführung, unerlaubten Privathandel mit Meteoriten und Aktenvernichtung vorwarf. Trotz dieser Vorwürfe prägte B. die Entwicklung der Kristallographie an der Wiener Universität in den 1870er- und 1880er-Jahren ganz entscheidend. Sein von dem Mineralogen William Miller übernommener Ansatz einer verständlicheren Flächenindizierung diente ihm als Grundstein zu einer anschaulicheren Darstellung der Kristallographie. Sein Werk „Krystallographische Untersuchungen an homologen und isomeren Reihen. Methodik der Krystall-Bestimmung“ (1884) wurde mit dem Baumgartner-Preis der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien ausgezeichnet. Sozialliberal gesinnt, war B. Mitglied der Sozialpolitischen Partei. Darüber hinaus engagierte er sich für die Popularisierung der Naturwissenschaften. 1897 wurde er als Direktor des gemeinnützigen Wirtschaftsunternehmens Syndikat Urania bestellt und verstand es, einen großen Personenkreis für das Volksbildungshaus Urania zu begeistern. 1898 wurde auf dem Ausstellungsgelände im Wiener Prater ein Holzgebäude mit einem Vortragssaal, einer Sternwarte und Nebenräumen für kleinere Ausstellungen errichtet. Die mit den damals modernsten technischen Mitteln präsentierten Veranstaltungen sowie die Möglichkeit, selbst Experimente durchzuführen, waren große Publikumsmagnete. Zu den erfolgreichsten Aufführungen zählten das von B. selbstverfasste dramatische Stück „Das Eisen“ (1898) und das kulturhistorische Werk über „Die Kohle“ (1899). Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten übersiedelte die Urania 1899 in den 1. Bezirk und B. wurde 1901 als Direktor abgelöst. Für den Schulunterricht erstellte er Kataloge über die Grundausstattung von Lehrbehelfen für verschiedene Schultypen und Fachgebiete. Ziel war es, Demonstrationsobjekte für den praktischen Anschauungsunterricht zur Verfügung zu haben. B. wollte eine Mindestanzahl der häufigsten Mineralien in allen Schultypen vorhanden wissen. In mehreren Publikationen kritisierte er nicht nur die veralteten Lehrbücher, sondern auch die geringe Anzahl der in den Schulen vorhandenen Mineralien sowie die Lehrerschaft selbst, womit er einige Proteste auslöste. Letztlich erreichte er, dass in Wien eine Lehrmittelzentrale gegründet wurde. B. war ab 1873 wirkliches, ab 1890 Ehrenmitglied der kaiserlich Mineralogischen Gesellschaft in St. Petersburg, ab 1886 Mitglied der American Philosophical Society in Philadelphia, ab 1895 korrespondierendes Mitglied der Mineralogical Society in London sowie Korrespondent der Geologischen Reichsanstalt und Mitglied der Deutschen Geologischen Gesellschaft in Berlin. Darüber hinaus fungierte er ab 1887 als Obmann des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, ab 1888 als Ausschussratsmitglied in der Sektion für Naturkunde des Österreichischen Touristen-Clubs und ab 1890 in gleicher Funktion im Wissenschaftlichen Club. 1892 Vorstandsmitglied im Wiener Volksbildungsverein, wurde er 1893 in den Ausschuss der Gesellschaft Scioptikon gewählt. 1894 war B. Gründungsmitglied des Vereins für Ethische Kultur und wurde dessen Obmann, 1895 gründete er den Verein zur Abhaltung akademischer Vorträge für Damen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Rose-Tschermak-Brezina-Schema zur Einteilung der Meteoriten verwendet, ebenso geht der 1905 eingeführte Begriff Brezina lamellae bzw. Brezinaʼsche Lamellen auf ihn zurück. Das nach ihm benannte Mineral Brezinait wurde 1969 erstmals beschrieben.