Briggs (Briggs-Baumfeld), Ella (Elsa); geb. Baumfeld (1880–1977), Innenarchitektin und Architektin

Briggs (Briggs-Baumfeld) Ella (Elsa), geb. Baumfeld, Innenarchitektin und Architektin. Geb. Wien, 5. 3. 1880; gest. London (GB), 20. 6. 1977; mos., ab ca. 1919 evang. Tochter des Advokaten Dr. Josef Baumfeld (geb. um 1850; gest. Wien, 7. 2. 1904) und von Caroline Baumfeld, geb. Bryk (geb. Rzeszów, Galizien/PL, 6. 6. 1842; gest. Wien, um 1935), Schwester des mit →Gustav Mahler befreundeten, ab 1900 in New York ansässigen Maurice (Moritz) Baumfeld (geb. Wien, 1868; gest. New York City, 1913), Kritiker und ab 1907 Leiter des deutschsprachigen Irving Place Theatre; ab 1907 verheiratet mit dem Journalisten und Übersetzer Dr. Walter J. Briggs (Brix) (geb. Wien, 23. 1. 1865), von dem sie sich 1912 scheiden ließ. – B. besuchte Schulen in Wien und Meran, 1898–1901 die Kunstschule für Frauen und Mädchen in Wien (Malerei) und 1901–04 bzw. 1905–06 die dortige Kunstgewerbeschule (bei Johann Hrdlicka, →Koloman Moser und Franz Metzner). 1903–04 unterbrach sie ihre Ausbildung für Aufenthalte in New York und Berlin, wo sie Erfahrungen im Möbelbau erwarb (1904 erhielt sie eine Bronzemedaille auf der Weltausstellung in St. Louis) und von ihrem Bruder erste architektonische Aufgaben vermittelt bekam. Bekannt sind die Gesellschaftsräume des Deutschen Theaters, des Presseklubs (beide New York) etc., deren Entwürfe sie nach ihrer Rückkehr 1914 anlässlich einer Kunstgewerbeausstellung im Neuen Wiener Frauenklub (Tuchlauben) zeigte. Ihre Möbel waren auf der 5. (1914) und 7. (1915) Ausstellung der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs in Wien zu sehen. 1914–15 leistete B. Kriegsdienst als Krankenpflegerin, 1916 sammelte sie Erfahrungen in der Möbelfabrik Sigmund Jaray und in den Architekturbüros von →Alfred Keller und Karl Holey. In der Folge gelang ihr die Aufnahme als Gasthörerin zu einzelnen Vorlesungen an der Bauschule der Technischen Hochschule Wien (1916–18). Nach dem Krieg versuchte B. ihre Interessen zu professionalisieren. Sie inskribierte 1918 an der Technischen Hochschule München, da in Wien Frauen erst im folgenden Semester zum Studium zugelassen wurden. 1919 maturierte sie an der Staatsgewerbeschule in Salzburg. Nach dem Diplom in München (1920) dürfte sie im Rahmen der Siedlungsbewegung unter Josef Frank für die Baugilde Grundstein geplant haben. Kurz darauf weilte B. erneut für drei bis vier Jahre in New York, wo sie Einfamilien- und Typenhäuser für das Baubüro Kahn & Gregory entwarf (1923 beschickte sie von New York aus eine Ausstellung im Wiener Künstlerhaus mit Entwürfen, z. B. „Das Wachsende Haus“). 1925 zurück in Wien, erhielt sie von der Gemeinde den Auftrag für den städtebaulich markant positionierten Pestalozzi-Hof in Wien-Döbling (1927 eröffnet). Er verfügte über 119 Kleinwohnungen, die zum Teil fix möbliert waren, sowie einen zentral positionierten Kindergarten. 1926 entstand das angrenzende Ledigenheim mit Studentenwohnungen in der Billrothstraße. Im Auftrag eines New Yorker Verlags bereiste sie im Frühjahr sowie im Dezember 1925 Sizilien, wo sie Denkmäler und Bauernhäuser photographierte („Small Domestic and Provincial Architecture of Sicily“, Photodokumentation im Victoria and Albert Museum, London). Da sie versehentlich ein Militärobjekt abgelichtet hatte, wurde sie für acht Tage wegen Spionageverdacht in Palermo inhaftiert. Ab 1927/28 hielt sie sich in Berlin auf, publizierte 1928–32 in diversen Fachzeitschriften („Deutsche Bauzeitung“, „Bauwelt“ etc.) und nahm an der Deutschen Bauausstellung 1931 teil. 1928/29 errichtete sie den U-förmigen Wohnbau mit Flachdach und Loggien in Berlin-Mariendorf sowie 1933 ein kleines Landhaus in Kleinmachnow. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten brachte für B. eine Zäsur und als „Dreivierteljüdin“ den Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste. Über Wien emigrierte sie 1936 nach Großbritannien. Eine Arbeitserlaubnis als Architektin blieb ihr bis Kriegsende verwehrt. 1947 war sie mit Entwürfen bei den 1945 von →Otto Neurath und Marie Neurath vorangetriebenen sozialen Wohnbauplanungen für die Industriestadt Bilston (Stowlawn) beteiligt. Im selben Jahr erhielt sie die englische Staatsbürgerschaft; zuletzt soll sie in London ein Büro geleitet haben. B. war eine Frau mit hoher Durchsetzungskraft, Zielstrebigkeit und internationaler Erfahrung. Neben Margarete Schütte-Lihotzky war sie die einzige Architektin, die am kommunalen Wiener Wohnbauprogramm mitwirkte. Ihre Bauten zeichnen sich durch eine klare Formensprache und eine sachliche wie funktionale Raumanordnung aus. B. befasste sich mit den vordringlichen sozialen Fragen der Zeit, wie der „Wohnung für das Existenzminimum“, Wohnungsteilungen oder Siedlungsbauten. Sie war Mitglied der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs, 1921 erstes weibliches Mitglied des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, ab 1925 Mitglied der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs und wurde in Berlin Mitglied des Bunds Deutscher Architekten. Nach dem Krieg erwirkte sie die Aufnahme in das Royal Institute of British Architects.

Weitere W.: s. Architektenlexikon.
L.: FB, 1. 5. 1914; Tages-Post (Linz), 8. 1. 1926; NFP, 15. 2. 1933 (Abendblatt); Frau und Gegenwart 4, 1927, H. 40, S. 12; S. Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938, 1994, s. Reg.; Ch. Benton, A different world. Emigre architects in Britain 1928–58, London 1995 (Kat.); K. Dörhöfer, Pionierinnen in der Architektur, 2004, S. 65ff.; U. Maasberg – R. Prinz, Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre, Dessau u. a. 2004, S. 97ff. (Kat.); M. Wahrhaftig, Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933, 2005, S. 97ff.; K. Stingl, E. B.(-Baumfeld). Wohnbauten in Wien (1925/26) und in Berlin (1929/30), hist.-kulturwiss. DA Wien, 2008; U. Prokop, Zum jüdischen Erbe in der Wiener Architektur ... 1868–1938, 2016, s. Reg.; Architektenlexikon Wien 1770–1945 (mit W., online, Zugriff 3. 1. 2018); TU, Wien.
(S. Plakolm-Forsthuber)   
Zuletzt aktualisiert: 14.12.2018  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 7 (14.12.2018)