Brunner, Lucian (1850–1914), Politiker, Funktionär und Bankier

Brunner Lucian, Politiker, Funktionär und Bankier. Geb. Hohenems (Vorarlberg), 29. 9. 1850; gest. Wien, 15. 4. 1914; mos. Sohn des Hohenemser Kaufmanns und Manufakturhändlers Marco (Marchs) Brunner (geb. Hohenems, 28. 9. 1817; gest. ebd., 18. 7. 1888) und dessen Frau Regina Brunner, geb. Brettauer (geb. Hohenems, 27. 8. 1826; gest. ebd., 26. 4. 1855), Vater des Ingenieurs und Bankiers Heinrich (Harry) Brunner (1886–1942); ab 1884 verheiratet mit Malvine Brunner, geb. Mandel (geb. Proßnitz, Mähren / Prostějov, CZ, 28. 2. 1860; gest. Altaussee, Steiermark, 28. 7. 1899). – B. trat 1883 als Kompagnon in die Privatbank seines Vaters im schweizerischen St. Gallen ein und gründete 1886 in Wien die Bank L. Brunner EFa., die sich mit Vermögensverwaltung beschäftigte und nach seinem Ableben von seinem Sohn Heinrich und dessen Schwager Hans Munk weitergeführt wurde. Nach dem Tod des Vaters ließ sich B. 1889 in Wien-Döbling nieder. B. war sowohl Verwaltungsrat der Bozen–Meraner Bahn als auch Präsident der Internationalen Rückversicherungs-Aktiengesellschaft. Er engagierte sich zunächst in der kleinen Partei der Wiener Demokraten, fungierte als Obmann des Demokratischen Zentralvereins und Herausgeber der Zeitung „Volksstimme“. Ab 1896 war er als Vorstandsmitglied des Politischen Volksvereins und ab 1899 als Beirat der Österreichisch-Israelischen Union aktiv. Als liberaler Politiker gehörte er 1896–1901 dem Wiener Gemeinderat an und vertrat dabei jüdisch-demokratische und später zunehmend jüdisch-nationale Standpunkte. Im Zuge dessen setzte sich B. für eine moderate städtische Ausgabenpolitik ein und stellte sich gegen die wachsenden Nationalismen in der Habsburgermonarchie. Er vertrat hierbei die Ansicht, dass die deutsche Sprache aus Vernunftgründen als Verkehrssprache vorrangig sei, eine Abwertung der Minderheitensprachen jedoch keineswegs erfolgen dürfe. B. reichte 1899 eine Klage gegen die im selben Jahr geplante 30.000-Gulden-Subvention zugunsten der Errichtung der St. Laurentius-Kirche in Wien-Breitensee ein, die die christlichsoziale Mehrheit im Wiener Gemeinderat durchzusetzen versuchte. B. bekam, nach hitzigen Debatten, schließlich vor dem Verwaltungsgerichtshof Recht. Er verteidigte die Trennung von Kirche und Staat, was ihn zum Ziel antisemitischer Angriffe machte. In den darauffolgenden Jahren näherte er sich immer mehr zionistischen Ideen an und setzte sich ab 1905 in einer Autonomie-Kampagne für jüdisch-nationale Interessen ein. 1907 trat er als Unterstützer zionistischer Reichsratspolitik und Financier der „Jüdischen Zeitung“ auf. Er war zudem Mitbegründer des 1908 entstandenen Vereins Nationale Autonomie, in dem sich u. a. auch →Thomas (Garrigue) Masaryk, →Karl Renner und →Nathan Birnbaum engagierten. Für den Jüdischen Nationalverein kandidierte B. sowohl bei Wahlen für den niederösterreichischen Landtag 1910 als auch bei den Reichsratswahlen von 1911, blieb jedoch ohne Mandatsgewinn. Trotz seiner gesellschaftlichen Aktivitäten in Wien versuchte er in wirtschaftlichen Belangen stets den Kontakt mit seiner Heimatgemeinde Hohenems aufrechtzuerhalten und beteiligte sich beispielsweise an den Planungen mehrerer Bahnverbindungen in Vorarlberg. 1911 scheiterte er jedoch aufgrund der finanziell allgemein angespannten Lage mit den Plänen für ein Straßenbahnprojekt zwischen dem Hohenemser Bahnhof und der Rosenthal-Fabrik.

L.: Czeike; Wiener Bilder 4, 1899, Nr. 12, S. 3 (mit Bild); A. Tänzer, Die Geschichte der Juden in Hohenems …, 1905, S. 483ff., 702; S. A. Birnbaum, in: The Jews of Austria, ed. J. Fraenkel, 1967, S. 131ff.; A. Gaisbauer, Davidstern und Doppeladler, 1988, s. Reg.; P. Melichar, Neuordnung im Bankwesen. Die NS-Maßnahmen und die Problematik der Restitution, 1994, S. 238ff.; Hohenems Genealogie (mit Bild, nur online, Zugriff 19. 2. 2016); Vorarlberger Landesarchiv, Bregenz, Jüdisches Museum Hohenems, beide Vorarlberg.
(R. Einetter)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)