De Franceschi, Carlo (1809–1893), Historiker, Politiker, Jurist und Beamter

De Franceschi Carlo, Historiker, Politiker, Jurist und Beamter. Geb. Gollogorizza, Illyrische Provinzen (Gologorica, HR), 16. 10. 1809; gest. ebd., 8. 1. 1893; röm.-kath. Sohn des habsburgtreuen Großgrundbesitzers Giuseppe De Franceschi, Vater des Historikers und Irredentisten Camillo De Franceschi (geb. Parenzo, Istrien / Poreč, HR, 3. 8. 1868; gest. Venezia, I, 27. 10. 1953), Großvater des Juristen und Historikers Carlo De Franceschi (geb. Triest, Freie Stadt / Trieste, I, 11. 9. 1900; gest. Venezia, 30. 4. 1972); ab 1852 verheiratet mit Maria Micheli. – Nach der Normalschule in Pisino besuchte D. ab 1822 das italienisch-lateinische Gymnasium in Fiume und später das Priesterseminar in Görz, das er jedoch wieder verließ. 1828–32 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Graz. Anschließend trat er 1833 eine Laufbahn als Staatsbeamter in Istrien an, zuerst im Gerichtsdienst (1846 Aktuar, 1847 Ratsprotokollist am Kriminalgericht, 1850 Assessor am Landesgericht in Rovigno). Schon während dieser Zeit entwickelte er eine Abneigung gegen die mehrheitlich deutschsprachige österreichische Bürokratie in Istrien. In seinen Memoiren stellte er den Bezirkshauptmann Friedrich Freiherr von Grimschitz als Inbegriff des verhassten österreichischen Beamtentums dar. Nach dem Ausbruch der Märzrevolution nahm D. zunächst eine gemäßigt liberale Position ein und war Mitglied des Reichstags sowie des Verfassungsausschusses in Wien bzw. Kremsier, wo er die Bezirke Pisino, Dignano und Rovigno vertrat. Er widersetzte sich den Plänen einer Eingliederung des ehemals venezianischen Istriens in den Deutschen Bund und forderte eine Selbstverwaltung sowie die Anerkennung des Italienischen als einziger Bildungs- und Amtssprache in der Region. Diesbezüglich schloss er sich anderen föderalistischen Parteien im Reichstag an. Die Ablehnung dieser Ansprüche verstärkte seine italienisch-nationalistische Orientierung. Wegen seiner immer schärferen antiösterreichischen Einstellung wurde D. 1854 in zeitlichen Ruhestand versetzt, jedoch im Folgejahr als Advokaturskonzipient in Fiume neuerlich in den aktiven Staatsdienst übernommen. 1861 betrat D. die politische Arena erneut, diesmal als Sekretär des istrischen Landtags in Parenzo. Er avancierte zu einer der zentralen Figuren der italienischen nationalliberalen Partei und führte die Boykottbewegung des istrischen Landtags („dieta del nessuno“) an. Im Auftrag des Landesparlaments erstellte D. eine umfassende Abhandlung über die Markgrafschaft Istrien, die 1871 als „Descrizione del Margraviato dʼIstria“ erschien. Nachdem er 1876 in den Ruhestand getreten war, setzte D. seine historischen Forschungen sowie kulturell-gesellschaftlichen Aktivitäten fort und gehörte beispielsweise 1884 zu den Gründungsmitgliedern der Società istriana di archeologia e storia patria in Parenzo (1886–89 Präsident). 1879 veröffentlichte er sein Hauptwerk „Istria. Note Storiche“, seine Memoiren wurden 1926 von seinem Sohn Camillo herausgegeben („Memorie autobiografiche“).

L.: Adlgasser; A. Madonizza, Lettere dalla Costituente austriaca del 1848–49, ed. G. Quarantotti, 1966, s. Reg.; Dizionario Biografico degli Italiani 36, 1988; F. Semi, Istria e Dalmazia. Uomini e tempi, 1992, S. 299f.; Istarska enciklopedija, 2005; F. Toncich, Istrien 1840–1914. Eine kulturelle Versuchsstation des Habsburgerreiches, 2021, s. Reg.; UA, Graz, Steiermark.
(F. Toncich)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)