Ehrenfels, Christian Freiherr von (1859–1932), Philosoph und Psychologe

Ehrenfels Christian Freiherr von, Philosoph und Psychologe. Geb. Rodaun, Niederösterreich (Wien), 20. 6. 1859; gest. Schloss Lichtenau im Waldviertel (Niederösterreich), 7. 9. 1932; röm.-kath. Sohn des Herrschaftsbesitzers Leopold Freiherr von Ehrenfels (1828–1888) und seiner Frau Clothilde, geb. von Coith (1837–1931), Vater der Schriftstellerin Imma von Bodmershof (1895–1982) und des zum Islam konvertierten Umar (Omar) Rolf Baron von Ehrenfels (1901–1980), der 1938 nach Indien emigrierte und Professor der Anthropologie in Madras wurde; ab 1894 mit Emma Freifrau von Ehrenfels, verwitwete von Hartmann, geb. André (1863–1946), verheiratet. – E. wuchs im niederösterreichischen Schloss Brunn am Walde auf und erhielt Privatunterricht, ehe die Familie nach Krems an der Donau übersiedelte. Da E. die Familiengüter übernehmen sollte, begann er 1877 ein Landwirtschaftsstudium an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, das ihm jedoch nicht zusagte. Nach Ablegung der Gymnasialreifeprüfung studierte er ab 1879 an der Universität Wien v. a. Philosophie, Germanistik und vorübergehend auch Jus. Mit seinen wichtigsten Lehrern →Franz Brentano und →Alexius Meinong von Handschuchsheim blieb er zeit seines Lebens in freundschaftlicher Verbindung. 1884 folgte er Meinong nach Graz, wo er 1885 zum Dr. phil. promovierte. Er habilitierte sich 1888 an der Universität Wien mit der psychologischen Studie „Ueber Fühlen und Wollen“ (in: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 114, 1887). Bedeutung erlangte er durch seine Arbeiten zur Psychologie und Werttheorie; sein Artikel „Ueber ,Gestaltqualitäten‘“ (in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 14, 1890) spielte eine wesentliche Rolle in der Begründung der Gestaltpsychologie; seine Werttheorie beruht auf der Annahme, dass Werte keine objektive Realität hätten, sondern eine Funktion mentaler Kategorien des Fühlens und Wollens seien. Wie auch seine Beiträge zur Philosophie der Mathematik ist sie damit durch eine deutlich psychologistische Grundhaltung geprägt. 1896 erfolgte der Ruf an die deutsche Universität Prag, wo E. zunächst als ao. Professor, ab 1899 als o. Professor bis zu seiner Emeritierung 1929 lehrte. Bei ihm studierten u. a. →Franz Kafka und Max Brod. Er widmete sich vermehrt Fragen der Sexualmoral und Eugenik. Mit seinen ungewöhnlichen Vorschlägen – so trat er etwa für eine Ehereform ein, die die Polygamie „höherstehender Männer“ begünstigt – stieß er aber weitgehend auf Ablehnung. Seine letzten Schriften behandeln Fragen der Metaphysik, die vom Autor als Fundament einer Religion der Zukunft auf wissenschaftlicher Basis angesehen wurden. Neben seinem philosophischen Interesse pflegte E. seine Begeisterung für Musik und Dichtung. Als Anhänger Richard Wagners berichtete er etwa 1912 in der „Bohemia“ von seiner 1882 unternommenen „Pilgerfahrt nach Bayreuth“ und schrieb einen Beitrag „Zur Klärung der Wagner-Controverse“ (1896). Er hatte Komposition u. a. bei →Anton Bruckner studiert und verfasste „Allegorische Dramen, für musikalische Composition …“ (1895), wie „Hildegard“ und „Der Kampf des Prometheus“, von denen einige auch aufgeführt wurden. Sein Nachlass befindet sich in Familienbesitz auf Schloss Lichtenau.

Weitere W. (s. auch Fabian): Zur Philosophie der Mathematik, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 15, 1891; Werththeorie und Ethik, ebd. 17–18, 1893–94; Von der Wertdefinition zum Motivationsgesetze, in: Archiv für systematische Philosophie, 1896; System der Werttheorie, 2 Bde., 1897–98; Die Intensität der Gefühle, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16, 1898; Grundbegriffe der Ethik, 1907; Kosmogonie, 1916; Das Primzahlengesetz, entwickelt und dargestellt auf Grund der Gestalttheorie, 1922; Philosophische Schriften, 4 Bde., ed. R. Fabian, 1982–90.
L.: Giebisch-Gugitz; Hall-Renner; Killy; NDB; Ch. v. E. Leben und Werk, ed. R. Fabian, 1986 (mit Bild und W.); B. Smith, Austrian Philosophy. The Legacy of F. Brentano, 1994; Website Franz Brentano Archiv Graz (mit Bild, Zugriff 7. 3. 2016); Stanford Encyclopedia of Philosophy (nur online, Zugriff 7. 3. 2016); UA, Wien.
(W. Huemer)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 3, 1956), S. 226f.
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