Ficker Julius von, Historiker. * Paderborn, 30. 4. 1826; † Innsbruck, 10. 7. 1902. Aus angesehener westfälischer Familie, stud. an den Univ. Bonn, Münster und Berlin Geschichte und wurde vor allem von J. F. Böhmer, der ihn auf den hohen Wert der Urkunde als Geschichtsquelle hinwies, richtunggebend beeinflußt. 1849 Dr.phil. und Priv. Doz. an der Univ. Bonn. 1852 berief ihn der Unterrichtsmin. Gf. Leo Thun im Zuge der Hochschulreform als Prof. der Geschichte an die Univ. Innsbruck, 1863 übernahm er die für ihn neugeschaffene Lehrkanzel für deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, 1879 zog er sich, um sich ganz seiner wiss. Arbeit widmen zu können, vom Lehramt zurück. In Innsbruck wirkte er schulebildend in großem Stile und mit reichstem Lehrerfolg, schuf in seinen „Übungen“ das erste auf wiss. Methoden fußende historische Seminar (zu seinen Schülern gehören u.a.: Alfons Huber, Josef Durig, Julius Jung, Engelbert Mühlbacher, Emil v. Ottenthal, Oswald Redlich und Otto v. Zallinger) und blieb auch nach seinem Rücktritt vom Lehramt bis zu seinem Tode in Innsbruck der geistige Mittelpunkt eines großen Kreises von Gelehrten internationaler Bedeutung. Für seine Methode, die er zu allgemein anerkannter Meisterschaft führte, sind charakteristisch die möglichst vollständige Erforschung und Erschließung der Quellen, die allseitige Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit, die scharfe Erfassung der Probleme, die unbedingte Sachlichkeit der Auffassung und das Streben nach Wahrheit bis in die letzten Tiefen menschlicher Forschung; seine Arbeiten bringen meist nicht nur gewonnene Ergebnisse, sondern zeigen in breiter Ausführlichkeit den ganzen Weg der Forschung mit seiner gesamten Problematik. Grundlegend sind F.s „Beiträge zur Urkundenlehre“, in denen er die Arbeiten Sickels (s. d.) ergänzend, Datierungsprobleme und Entstehungsgeschichte der Urkunde im weitesten Umfange klarlegt, seine „Forschungen“ zur deutschen und italien. Rechtsgeschichte, in denen er die engen Zusammenhänge des Rechtlichen und des Historischen und die Bedeutung der Institutionen sowie die zentralen Fragen der Verfassungsgeschichte in bahnbrechender Weise formuliert und beantwortet und seine „Untersuchungen“ zur german. und vergleichenden Rechtsgeschichte. F. hat auch das große, von Böhmer begründete Quellenwerk, die „Regesta Imperii“ geleitet und für die späte Stauferzeit selbst weitergeführt. Bekannt ist seine Kontroverse mit Sybel über die Beurteilung der mittelalterlichen Kaiserpolitik. 1866 nahm F. als Lt. der Innsbrucker Studentenkompagnie an der Verteidigung der Südgrenze des Landes Tirol teil. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u.a. Mitgl. der Akad. d. Wiss. in Wien, der Bayer. Akad. d. Wiss., der Preuß. Akad. d. Wiss., 1897 Ritter des Ordens Pour le Mérite, Träger des österr. Ehrenzeichens für Kunst und Wissenschaft.