Gentz Friedrich, Staatsmann und Schriftsteller. * Breslau, 2. 5. 1764; † Weinhaus b. Wien, 9. 6. 1832. Stammte aus altpreuß. Beamtenfamilie, sein Vater, dessen Name ursprünglich Gentze lautete, war Inspektor der kgl. Münze, die Mutter gehörte der Hugenottenfamilie Ancillon an. G. besuchte das Gymn. in Berlin, ohne sich besonders auszuzeichnen, doch fielen sein gewandter Stil und seine Rednergabe auf. An der Univ. Königsberg hörte er auch Kant, dessen System, gebrochen durch das Prisma des Popularphilosophen Garve, starken Eindruck auf ihn machte. Nach Berlin zurückgekehrt, trat er 1785 in den preuß. Staatsdienst, wurde beim Generaldirektorium verwendet und erhielt später den Titel eines Kriegsrates. Mehr und mehr fielen ihm aber publizist. Aufgaben zu, die er, im Banne der Berliner Aufklärung stehend, auch durch Schiller, Goethe und Wilhelm von Humboldt angeregt, zu meistern suchte. Seine staats- und finanzpolit. Anschauungen orientierten sich an Montesquieu und Adam Smith. Den Ausbruch der französischen Revolution begrüßte er zunächst als den Beginn eines Zeitalters der Vernunft, doch konnte er ihre Folgen nicht mit seiner Grundidee von der Erhaltung eines Gleichgewichtes in Gesellschaft und Politik in Einklang bringen. 1793 übersetzte er Edmund Burkes „Betrachtungen über die französische Revolution“ ins Deutsche. Von da ab wandelte er sich zu einem entschiedenen Gegner aller revolutionären Prinzipien. Er wurde zu einem Bewunderer Englands, zu einem energ. Verfechter der brit. Politik auf dem Kontinent und zu einem Vorkämpfer gegen die Störung des europ. Gleichgewichtes durch eine französ. Hegemonie. Nicht allein dadurch, sondern auch privater Umstände wegen wurde seine Stellung in Berlin unhaltbar, er machte eine Reise nach England und kam 1802 durch Vermittlung Gf. Philipp Stadions in den österr. Staatsdienst, um publizist. den Widerstand gegen Napoleon zu organisieren. Er gehörte mit dem Titel eines k. k. Rates dem Verbande der Staatskanzlei an, erst 1813 erreichte er den ersehnten Rang eines wirklichen Hofrates. Im Grunde stand er außerhalb der Beamtenschaft, arbeitete meist zu Hause mit eigenen Hilfskräften, führte das Leben eines Grandseigneurs, für das seine offiziellen und inoffiziellen Bezüge, die er vom Staat erhielt, nicht ausreichten. Doch verstand er es immer wieder, sich andere Hilfsquellen zu erschließen, die besonders aus England und durch seine jahrelange Berichterstattung für die Fürsten der Wallachei und das Haus Rothschild reichlich flossen. Vieles ging mit Duldung seiner Vorgesetzten vor sich, die wußten, daß er nur von Gesinnungsgenossen Geld nahm, auch wenn dabei nicht immer das Amtsgeheimnis gewahrt wurde. Die Niederlagen Österr. zwangen ihn, sich nach Böhmen und Dresden zurückzuziehen, er nahm Verbindung mit Frh. vom Stein auf; auch Metternich wurde damals auf ihn aufmerksam. In nüchterner Einschätzung aller Realitäten, was ihn zeitweilig in Gegensatz zu den Erzh. Karl und Johann brachte, leitete er zusammen mit Stadion den publizist. Befreiungskampf von 1809 und 1813. Sein Einfluß reichte weit, in zahllosen Denkschriften, Korrespondenzen, nicht zuletzt auch in den Salons, führte er seine geschliffene Klinge. Von Massenpropaganda hielt er wenig, sein Streben ging vornehmlich nach Einwirkung auf die europ. Kabinette. Erst nach dem Wr. Kongreß schien sich seine polit. Gedankenwelt zu verwirklichen, er wurde zum „Generalstabschef“ Metternichs, dem er in wechselvoller Anziehung und Abstoßung zeitlebens verbunden blieb. Als „Sekretär Europas“ trug er nicht nur auf dem Wr., sondern auch auf den folgenden Kongressen die Hauptlast der Routinearbeit, verstand aber auch hinter den Kulissen manche Fäden zu ziehen. Er wurde zu einem Symbol des Zeitalters der Restauration, sowohl auf dem Felde der hohen Politik, wie auch als Träger der konservativen Tendenzen im Innern. Bei persönlich freier Lebensführung blieb seine Gesinnung antiliberal, doch meldeten sich in seinen letzten Jahren Zweifel an der Haltbarkeit des Systems Metternichs. G. blieb auch am Wr. Kaiserhof Protestant, der Adelstitel, den er zumeist führte, war ihm nicht verliehen worden, sein schwed. Adelsgrad wurde in Österr. nicht anerkannt. Zahlreiche Affären, zuletzt seine Beziehungen zur Tänzerin Fanny Elßler (s. d.), taten ihm wegen seiner Unentbehrlichkeit keinen Abbruch. G. war durchaus ein Mann des 18. Jahrhunderts, der Politik als Wiss. und als Kunst betrieben hat. In seinem publizist. weit ausgreifenden Wirken, das sich vor allem auch auf Probleme der Finanzpolitik erstreckte, spiegelt sich die Epoche von 1789 bis 1830.