Gerö (Gerő), Josef (József) (1896–1954), Funktionär, Jurist und Politiker

Gerö (Gerő) Josef (József), Funktionär, Jurist und Politiker. Geb. Maria-Theresiopel, Ungarn (Subotica, SRB), 23. 9. 1896; gest. Wien, 28. 12. 1954; mos., später evang. AB. Sohn des Stoff- und Tuchhändlers Michael (Mihaly) Gerö (gest. 1937) und der Helene Gerö, geb. Touaillon (geb. 1869), Bruder des Unternehmers (Strumpfwarenfabrik Bärenmarke in Heidenreichstein) Matthias Gerö, Vater des Rechtsanwalts und Sportfunktionärs für Fußball und Landhockey Heinz Gerö (1922–1989) sowie der gelernten Modistin Margarete Gerö, verheiratete Blimlinger (1924–1976); verheiratet mit Leopoldine (Lea) Gerö, geb. Bürger (1898–1986). – Die großbürgerliche Familie übersiedelte bald nach Wien, wo G. das Gymnasium in Wien 16 besuchte. Bereits mit 14 Jahren rief er mit seinen Mitschülern den Fußballklub Libertas ins Leben, wo er zunächst als rechter Verteidiger spielte, später fungierte er auch als Schriftführer und Präsident. Im 1. Weltkrieg leistete G. als Artillerieoffizier seinen Kriegsdienst. Ab 1918 studierte er an der juridischen Fakultät der Universität Wien; 1920 Dr. iur. 1921 trat er in den Gerichtsdienst und wurde 1926 zum Richter beim Bezirksgericht Baden ernannt. 1927–29 war er als Staatsanwalt in Wiener Neustadt tätig, 1929–34 in gleicher Eigenschaft in Wien. Anfang 1936 zum Leiter der Abteilung für politische Strafsachen des Bundesministeriums für Justiz und im selben Jahr zum Ersten Staatsanwalt ernannt, wirkte er an der Verfolgung von revolutionären Sozialisten und Februarkämpfern wie auch Nationalsozialisten mit. Daneben engagierte er sich für den Fußballsport. Ab 1923 fungierte er als Vereinsdelegierter beim Wiener Fußballverband, bis er 1927 nach dem Rücktritt von →Ignaz Abeles zum Präsidenten gewählt wurde. Die letzte Generalversammlung des Wiener Fußballverbands – es gehörten ihm zu diesem Zeitpunkt 473 Vereine an – fand im März 1937 statt. G. wurde als Präsident bestätigt. Die 1920er- und 1930er-Jahre waren auch im Vereinsfußball durch die Gegnerschaft zwischen Arbeiter- und bürgerlich-christlichsozialen Vereinen geprägt. Im März 1938 wurde G. von der Gestapo verhaftet, Anfang April 1938 mit dem sogenannten Prominententransport in das Konzentrationslager Dachau deportiert und im September 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Im Juli 1939 wurde er aus dem Konzentrationslager entlassen, übersiedelte nach Zagreb, wo auch seine Frau und seine Tochter lebten, und arbeitete dort als Prokurist in der Textilfirma seines Bruders. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien wurde er im April 1941 neuerlich von der Gestapo verhaftet, kam aber bereits im Juni wieder frei. Im Juli 1942 wurde ihm der akademische Grad aus „rassischen“ Gründen aberkannt. Im Juli 1944 kam es wiederum zur Verhaftung durch die Gestapo in Zagreb, danach wurde G. nach Wien überstellt, aus der Haft entlassen und zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie verpflichtet. Ein Jahr später wurde ihm der Doktorgrad erneut zuerkannt bzw. die Aberkennung für „von Anfang an nichtig“ erklärt. Damit gehörte G. zu den ersten Universitätsabsolventen, denen das Doktorat wieder verliehen wurde. G. zählte zu jenen Personen, die als Mitglied der provisorischen Staatsregierung die Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs mitunterzeichnet hatten. Als Parteiloser von der SPÖ vorgeschlagen, war er 1945 für einige Monate Staatssekretär im Staatsamt für Justiz sowie danach Bundesminister für Justiz (Ende Dezember 1945 bis November 1949 und September 1952 bis Ende Dezember 1954). 1949–52 fungierte er als Präsident des Oberlandesgerichts Wien. G. setzte nach 1945 seine Tätigkeit als Sportfunktionär fort. 1945 wurde er erster Präsident des wieder gegründeten Österreichischen Fußballbunds (ÖFB) und übte dieses Amt bis zu seinem Tod aus. Unter seiner Ägide erhielt der ÖFB sein von den Nationalsozialisten entzogenes Haus in der Berggasse zurück. In der konstituierenden Generalversammlung im Dezember 1946 wurde G. auch zum Präsidenten des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC) gewählt und hatte dieses Amt ebenfalls bis zu seinem Tod inne. Zudem wurde er noch 1954 bei der Gründung der Union des Associations Européennes de Football (der heutigen UEFA) zum ersten Vizepräsidenten bestellt. Der Švehla-Cup, benannt nach →Antonín Švehla, der als Vorgänger der Europameisterschaft angesehen werden kann, wurde 1954 in Dr.-Gerö-Gedächtnispokal umbenannt. 1934 erhielt er das Offizierskreuz des Ordine della Corona d᾽Italia, 1954 das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich. 1946 wurde er zum Ehrenmitglied des Hauptverbands für Körpersport ernannt.

L.: AZ, 29. 12. 1954 (mit Bild); Der Standard, 24. 12. 2014 (mit Bild); Hdb. der Emigration 1; Neues Sportblatt 3, 1955, S. 4ff.; Geschichte des österreichischen Fußballsports, 1964, S. 163ff.; A. Hafer – W. Hafer, H. Meisl oder Die Erfindung des modernen Fußballs, 2007, s. Reg.; E. Blimlinger, in: Die Eleganz des runden Leders, ed. W. Maderthaner u. a., 2008, S. 156ff.; G. Urbanek, Österreichs Deutschland-Komplex, 2012, s. Reg.; Sportfunktionäre und jüdische Differenz, ed. B. Hachleitner u. a., 2019, s. Reg.; Wien Geschichte Wiki (mit Bild, Zugriff 25. 7. 2019); DÖW, UA, WStLA, alle Wien.
(E. Blimlinger)   
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)