Glöckel, Otto (1874-1935), Pädagoge und Politiker

Glöckel Otto, Pädagoge und Politiker. * Pottendorf (N.Ö.), 8. 2. 1874; † Wien, 23. 7. 1935. Lehrerssohn, erhielt 1888–93 seine Ausbildung am Lehrerseminar zu Wr. Neustadt, wirkte dann an Wr. Volksschulen, wurde aber bereits 1897 wegen seiner sozialdemokrat. Gesinnung entlassen. 1907 wurde er als Kandidat des Wahlbezirkes Erzgebirge in das Abgeordnetenhaus entsandt. 1917 entwickelte G. in einer Versmlg. des Ver. „Freie Schule“ zum erstenmal ein Schulprogramm, das bereits alle Grundgedanken der von ihm als Unterstaatssekretär für Unterricht (1918–20) inaugurierten Schulreform enthielt. Nach dem Regierungswechsel von 1920 wurde G. geschäftsführender Präs. des Stadtschulrates für Wien. Schon als Unterstaatssekretär hatte G. eine vollständige Umbildung des gesamten Schul- und Volksbildungswesens eingeleitet und zu dessen Vorbereitung die Abt. für Schulreform im Unterrichtsamt eingerichtet. Als Präs. des Stadtschulrates ging er nun daran, auf diesem an Schulen reichsten Verwaltungsgebiete der Republik Österreich sein Programm zu verwirklichen. Das äußere Ziel der Reform war die Schaffung einer einheitlichen Organisation des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens in den Stufen der Grundschule (6.–10. Lebensjahr), der Allg. Mittelschule (11.–14. Lebensjahr) und der allgemeinbildenden Oberschulen, die zur Hochschulreife führen. Entsprechend der Vereinheitlichung des Schulwesens sollte auch die Ausbildung aller Lehrer einheitlich zusammengefaßt und an die Univ. verlegt werden. Das Hauptmotiv dieser organisator. Neuordnung war die Hinausschiebung der Schulbahnwahl und damit der Berufsentscheidung. Die inneren Ziele der Reform waren die Pädagogik vom Kinde aus, die Arbeitsmethode im Unterricht und die Erziehung zur Gemeinschaft. Ideengeschichtlich und schulpolit. hat die Wr. Schulreform ihre nächste Entsprechung in der Bewegung der „Entschiedenen Schulreformer“ in Deutschland, mit der sie auch die Affinität zu einer sozialist. Gesellschaftsreform gemeinsam hat. Die prakt. Durchführung begann mit der Grundschule gemäß den Grundsätzen der Kindesgemäßheit, der Bodenständigkeit, der Arbeitsmethode und des Gesamtunterrichts. Auf der zweiten Stufe traten naturgemäß die organisat. Probleme in den Vordergrund und führten zur Organisation der Allg. Mittelschulen in zwei Klassenzügen (nach dem Grad der Begabung) durch alle Jahrgänge und der Einführung von relativ obligaten Fächern von der 3. Klasse an (Latein, l lebende Fremdsprache, verstärkter math. Unterricht). Die dritte Stufe bildeten die allgemeinbildenden Oberschulen mit der gemeinsamen Aufgabe einer Vertiefung der Allgemeinbildung und der Differenzierung nach Begabungsrichtungen und Interessen in eine altsprachliche Oberschule (Latein, Griech.), eine neusprachliche (Französ., Engl.), math.-naturwiss. (mit verstärktem realist. Unterricht) und eine dt. (mit dem dt. Bildungsgut als Kerngebiet). Die Gegnerschaft gegen die Reform richtete sich vor allem gegen die Allg. Mittelschule und die zu spät einsetzende Differenzierung der Oberschulen. Man sah darin nicht ohne Grund eine Gefährdung gerade der begabten Schüler, indem diese auf der Unterstufe zuwenig beansprucht und auf der Oberstufe überlastet wären. Die hochschulmäßige Lehrerbildung für Volksschullehrer wurde durch mehrere Jahrgänge in dem Pädagog. Institut der Gemeinde Wien erprobt. Durch die Schulgesetze von 1927 (Hauptschulgesetz, Mittelschulgesetz) wurden einerseits die Bürgerschulen in Hauptschulen (nach dem Plan der Allg. Mittelschule) umgewandelt, anderseits die Mittelschulen (Gymn., Realgymn. in 3 Formen, Realschule, Frauenoberschule) als Vollanstalten erhalten. Die polit. Wirren im Februar 1934 trafen G. schwer durch die ohne „Erhebung einer Anklage“ verfügte Internierung im Anhaltelager Wöllersdorf. Vermutlich durch die Aufregung brach ein Herzleiden aus, von dem er trotz der bald erfolgten Überführung in die Krankenpflege nicht mehr genesen ist.

W.: Die Reaktionären an der Arbeit, 1908; Schule und Klerikalismus, 1911; Die Wehrhaftmachung der Jugend, 1916; Schulreform und Volksbildung in der Republik, 1919; Zur 50-Jahr-Feier des Reichsvolksschulgesetzes, 1919; Ausführungen des Unterstaatssekretärs für Unterricht über die nächsten Pläne der Schulverwaltung und über den Stand der Schulreform in den Sitzungen des Ausschusses für Erziehung und Unterricht, 1919–20; Die österr. Schulreform, 1922; Die Wirksamkeit des Stadtschulrates, 1925; Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule, 1928.
L.: Wr. Ztg. vom 24. und 25. 7. 1935; Päd. Bll., Jg. 2, 1935, H. 10, Jg. 3, H. 1; Freie Lehrerstimmen, 1954, n. 2; L. E. Tesar, Die Schulreform in Österr., in: Hdb. der Pädagogik von H. Nohl- L. Pallat, IV, 1928; H. Fischl, Wesen und Werden der Schulreform in Österr., 1929; Aus dem Leben eines großen Schulmannes. O. G., Genossenschaftsdruckerei Zürich, 1939; V. Fadrus, O. G.s Anteil an der Kulturpolitik der Ersten Republik Österr., in: Erziehung und Unterricht, 1946, S. 54ff.; Lex. der Pädagogik, Bd. 2, 1953, S. 466f.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 6, 1957), S. 8f.
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