Goldschmidt, Theodor Ritter von (1837–1909), Bautechniker und Politiker

Goldschmidt Theodor Ritter von, Bautechniker und Politiker. Geb. Meidling, Niederösterreich (Wien), 10. 7. 1837; gest. Wien, 23. 9. 1909; mos. Sohn des preußischen Konsuls und Prokuraführers des Bankhauses Rothschild Moritz Ritter von Goldschmidt (1803–1888) und der Nanette von Goldschmidt, geb. Landauer (gest. 1891), Bruder u. a. des Komponisten →Adalbert Ritter von Goldschmidt. – Nach dem Besuch der Oberrealschule studierte G. ab 1853 am polytechnischen Institut in Wien sowie ab 1857 an der École des Ponts et Chaussées in Paris, die er 1860 absolvierte. Es folgten Studienreisen mit praktischem Schwerpunkt nach Deutschland, Belgien, Frankreich und England, ehe er 1861 bei der Compagnie des chemins de fer de Paris à Lyon et à la Méditerranée eine Anstellung als Hilfsingenieur fand. Bis 1863 war er in dieser Eigenschaft am Bau der Brücke über den Var nahe Nizza, des Bahnhofs von Nizza und der Strecke Nizza–Menton beteiligt. 1863 trat G. in den österreichischen Staatsdienst ein und wurde Sektionsingenieur bei der Südbahn. Zum Oberingenieur aufgestiegen, zeichnete er als stellvertretender Oberbauleiter für den Streckenabschnitt Padua–Rovigo (bis zum Po) verantwortlich. Neben mehreren kleineren Studien zu regionalen Bahnprojekten fertigte er in dieser Zeit auch eine Studie zum Neubau des Hafens von Venedig an. Im Bereich des Brückenbaus tat er sich durch die Errichtung der Etsch-Brücke bei Rovigo hervor. 1866 wechselte G. in die Generaldirektion der Südbahn-Gesellschaft nach Wien, blieb dort allerdings nur für ein Jahr. Er widmete sich anschließend als Unternehmer Projektausführungen im Eisenbahnbau. Als wichtigste Arbeiten sind die Donaubrücke Wien-Stadlau, ein Auftrag der k. k. priv. österr. Staatseisenbahn-Gesellschaft, und der Bau der Bahnstrecke Hatvan–Miskolcz in Ungarn zu nennen. Weiters verfasste G. den amtlichen Bericht über die Sektion Eisenbahnwesen (Eisenbahnmaterialien) auf der Pariser Weltausstellung 1867 – eine Aufgabe, die er auch für die französische Berichtskommission übernahm. 1874–95 war er Mitglied des Verwaltungsrats der Allgemeinen österreichischen Baugesellschaft, die sich im 20. Jahrhundert als Porr AG etablierte. Darin fungierte G. 1875–77 als Vizepräsident, 1877–78 als geschäftsführender Vizepräsident und 1878–93 als Präsident. Neben weiteren Tätigkeiten in der Verwaltung verschiedener Industrieunternehmen war G. auch Mitglied von Fachvereinigungen, u. a. des Elektrotechnischen Vereins in Wien und ab 1861 des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins. In Letzterem wirkte er als Verwaltungsrat und in diversen Gremien. 1880 erlangte er die Befugnis, als behördlich autorisierter Zivil-Ingenieur aller Baufächer zu arbeiten, und wurde später Vorstand-Stellvertreter der Ingenieurkammer des Vereins der behördlich autorisierten Ziviltechniker in Niederösterreich. In Frankreich war G. Ehrenpräsident der Association des Ingénieurs civils. Kommunalpolitisch betätigte er sich ab 1879 bis zu seinem Tod im Wiener Gemeinderat insbesondere in technischen Belangen und setzte sich als Stadtrat (1891–95) primär für den Bau der Wiener Stadtbahn ein. Er war zudem u. a. beratendes Mitglied der Donauregulierungskommission und Ausschussmitglied des Gewerbe-hygienischen Museums. Ab 1889 gehörte G. dem Vorstand der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde an, wo er sich u. a. als Kurator des Königsberg’schen Mädchen-Erziehungs-Instituts sozial engagierte und zuletzt als 2. Vizepräsident fungierte. G. wurde 1885 zum Baurat ernannt und u. a. mit dem Goldenen Verdienstkreuz mit der Krone und dem Offizierskreuz des Franz Joseph-Ordens (1908) ausgezeichnet. Er war Ritter der französischen Ehrenlegion sowie des königlich italienischen Ordens der Heiligen Mauritius und Lazarus.

L.: NFP, 24. (Abendblatt, Parte), Tages-Post (Linz), 25. 9. 1909; Wininger; Der Bautechniker 29, 1909, S. 784; Dr. Bloch’s Oesterreichische Wochenschrift 26, 1909, S. 686ff.; ZÖIAV 61, 1909, S. 724f.; H. Jäger-Sunstenau, Die geadelten Judenfamilien im vormärzlichen Wien, phil. Diss. Wien, 1950, S. 123f.; B. Fiala, Der Wiener Gemeinderat in den Jahren 1879–83 …, phil. Diss. Wien, 1974, S. 360ff. (mit Bild); H. Matis – D. Stiefel, „Mit der vereinigten Kraft des Capitals, des Credits und der Technik ...“. Die Geschichte des österreichischen Bauwesens ... 1–2, 1994, s. Reg. (mit Bild); IKG, TU, beide Wien.
(J. Pircher)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)