Goldstern Eugenie (Jenja, Jenny), Volkskundlerin. Geb. Odessa, Russland (Odesa, UA), 16. 12. 1883 oder 1. 3. 1884; gest. Vernichtungslager Sobibor, Deutsches Reich (PL), wahrscheinlich 17. 6. 1942; mos. Tochter des Kaufmanns Abraham Goldstern (geb. Lemberg, Galizien / L’viv, UA, 22. 1. 1832; gest. Wien, 15. 8. 1905) und dessen Frau Marie Goldstern, geb. Kitower (geb. Odessa, 19. 12. 1844; gest. Wien, 24. 11. 1913), Schwester u. a. von Dr. med. Samuel Goldstern und Sima Goldstern; ledig. – G. flüchtete 1905 mit einem Teil ihrer Familie vor den Pogromen nach Wien. Dort absolvierte sie das Gymnasium, interessierte sich für Volkskunde und besuchte ab 1911 als Gasthörerin an der Universität Wien die Vorlesungen von →Michael Haberlandt, der zur selben Zeit das Amt als Direktor des Volkskundemuseums Wien angetreten hatte. Da eine Promotion nicht möglich war, setzte die sprachgewandte G., die neben ihrer deutschen Muttersprache auch des Russischen, Polnischen und Französischen mächtig war, ihre Studien beim französischen Ethnologen Arnold van Gennep im schweizerischen Neuchâtel fort. In der Schweiz unternahm sie im Rahmen ihrer Feldforschung auch Reisen in die Alpen, wie beispielsweise 1912 in die Hochgebirgstäler des Wallis. Im Winter 1913/14 beobachtete, photographierte und dokumentierte sie mehrere Monate hindurch das Leben der Menschen im französischen Bessans in Savoyen. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs unterbrach ihre Forschungen, die sie nach ihrer erzwungenen Rückkehr nach Österreich zunächst im Lammertal in Salzburg fortsetzte. 1918 konnte sie die Feldforschung im Wallis bzw. in Graubünden wieder aufnehmen und ihr Studium 1921 schließlich mit der Promotion in Fribourg bei Paul Girardin beenden. In ihrer Dissertation behandelte sie die hochalpine Bevölkerung in Savoyen und Graubünden, insbesondere jene von Bessans sowie des Münstertals in Graubünden. Während in der Wiener Volkskunde Rassismus und Antisemitismus immer stärker Raum griffen, veröffentlichte G. 1924 nochmals Erkenntnisse ihrer Studien zu alpinen Spielzeugtieren und schenkte dem Volkskundemuseum mehrmals Objekte aus ihrer über die Jahre gewachsenen Sammlung. Die angestrebte Karriere in Wien blieb ihr als jüdischer Frau jedoch verwehrt und so zog sich G. gezwungenermaßen aus der Wissenschaft zurück. Ihre Leistungen wurden zu ihren Lebzeiten weder in Österreich noch in der Schweiz, wo sie dem Alpinen Museum in Bern einen kleineren Teil ihrer Sammlung schenkte, anerkannt. In weiterer Folge half sie ihrem Bruder Samuel, der seit 1915 bis zur Arisierung 1938 die Fango-Heilanstalt in der Wiener Lazarettgasse leitete. Die meisten Familienmitglieder konnten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Österreich verlassen, doch G. blieb, gemeinsam mit ihrem Bruder Sima, weiterhin in Wien. Im Juni 1942 musste sie am Bahnhof Wien Aspang einen Deportationszug nach Lublin besteigen. Nach der Ankunft wurde sie als nicht arbeitsfähig eingestuft und in das Vernichtungslager Sobibor verbracht, wo sie bald darauf ermordet wurde.