Gottlein, Artur (1895–1977), Filmschaffender und Gewerkschaftsfunktionär

Gottlein Artur, Filmschaffender und Gewerkschaftsfunktionär. Geb. Wien, 15. 6. 1895; gest. ebd., 16. 9. 1977; mos. Sohn von Emil Gottlein, der in Wien-Favoriten eine Gemischtwarenhandlung betrieb, und Helene Gottlein, geb. Basch; verheiratet mit Hermine Gottlein, geb. Knöpfmacher (1892–1982). – Nach dem Besuch der Handelsschule nahm G. Unterricht an einer Theaterschule. Seine Laufbahn beim Film begann er als Mitarbeiter von →Alexander (Sascha) Josef Graf von Kolowrat-Krakowsky im Kriegspressequartier, bevor er 1915 bei der Sascha Film sein erstes fixes Engagement als Hilfsregisseur erhielt. In der Folge war G. als Regieassistent, Aufnahmeleiter, Produktionsleiter, Drehbuchautor, Cutter und Regisseur an der Herstellung von weit über 100 Filmen beteiligt. Er arbeitete mit den bekanntesten in Österreich tätigen Filmschaffenden zusammen, allen voran Mihály Kertész (später Michael Curtiz), aber auch Jakob und Luise Fleck, Kurt Gerron, Heinz Hanus, Max Neufeld, Conrad Wiene und vielen anderen. So war er Regieassistent bei den Stummfilmwerken „Sodom und Gomorrha“ (1922) und „Die Sklavenkönigin“ (1924), die zu den Pionierleistungen der österreichischen Filmgeschichte zählen. Er selbst führte Regie bei rund 15 Spielfilmen, etwa bei dem Operettenfilm „Der Rastelbinder“ (Co-Regie: Hanus, Maurice Armand Mondet, 1927) sowie einigen Kurztonfilmen nach Drehbüchern von Karl Farkas, wie „Unter den Dächern von Wien“, „Justizmaschine“ (beide 1931) und „Lampel weiß alles“ (1932). Darüber hinaus war er an der Herstellung zahlreicher Kultur- und Werbefilme beteiligt. 1922 zählte er zu den Begründern des Filmbunds, einer Interessensvertretung verschiedener Berufsgruppen der Filmbranche. Als dessen Vorstandsmitglied setzte er sich erfolgreich für die Einführung eines Gesetzes zur Filmkontingentierung ein (1926), das die Einfuhr ausländischer Produktionen zugunsten der vom Niedergang bedrohten österreichischen Filmindustrie beschränkte. Der „Anschluss“ 1938 bedeutete für G. das Ende seiner beruflichen Laufbahn in Österreich. Ein Vertrag mit einer amerikanischen Produktionsfirma verhalf ihm 1939 zur Emigration auf die Philippinen. In Manila drehte er nach eigenen Angaben einige Filme in Englisch und der Landessprache Tagalog, darunter eine musikalische Drama Comedy mit dem Titel „Huling Pagluha“ (deutsch „Die letzten Tränen“, 1940), an der einige der bekanntesten Stars des damaligen philippinischen Kinos mitwirkten, wie etwa das Komikerpaar Pugo & Togo, die als philippinische Laurel & Hardy galten. Durch den Ausbruch des Pazifikkriegs und die Besetzung der Philippinen durch Japan im Dezember 1941 war G., der sich zu einem Besuch in Shanghai aufhielt, die Rückkehr nach Manila nicht mehr möglich. In Shanghai gründete er eine Marionettenbühne, an der deutschsprachige Emigranten mitwirkten und die auch unter der Bezeichnung „Shanghaier Puppenspiele“ auftrat. Das Ensemble brachte u. a. →Ferdinand Raimunds „Der Bauer als Millionär“ und →Johann Nestroys „Lumpazivagabundus“ (unter dem Titel „Drei liederliche Burschen“), beide in der Bearbeitung durch den Wiener Arzt und Schriftsteller Hugo Alt, sowie etliche Revueprogramme zur Aufführung. Die Stücke wurden auch in englischer und chinesischer Sprache aufgeführt. Nach seiner Rückkehr nach Österreich 1949 wirkte G. nur mehr an kleineren Filmproduktionen mit. Als langjähriges Vorstandsmitglied der Sektion Film und Fernsehfilm der Gewerkschaft Kunst und Freie Berufe engagierte er sich erneut für die Interessen der österreichischen Filmschaffenden. V. a. aber betätigte er sich als Chronist des österreichischen Films, der über enormes Detailwissen verfügte. Er baute eine umfangreiche Sammlung von Bildmaterial von der Stummfilmära bis in die 1950er-Jahre auf, die heute im Filmarchiv Austria aufbewahrt wird. 1966 gestaltete er die Ausstellung zur österreichischen Filmgeschichte im Wiener Rathaus. Neben Erinnerungsbeiträgen zur Pionierzeit des österreichischen Films in der gewerkschaftseigenen Zeitung erschien 1976 sein Bilderbuch „Der österreichische Film“, in das er auch seine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen einfließen ließ. G. war u. a. Träger des Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich. 1976 wurde ihm der Professorentitel verliehen.

Weitere W.: Kleines Lexikon des österreichischen Films, ed. und red. L. Gesek, 1959 (Mitarbeit); Rückblick, in: Geschichte des Films in Österreich, Wien 1966 (Kat.); Beiträge in: Die Gemeinde, Kunst und Freie Berufe. – Filmographie: s. DÖW.
L.: Die Gemeinde, 1976, Nr. 220, S. 19 (mit Bild); L. G(esek), in: Der österreichische Film. Ein Bilderbuch …, 1976, S. 121f. (mit Bild); M. Philipp, Nicht einmal einen Thespiskarren. Exiltheater in Shanghai 1939–47, 1996, S. 136ff.; Ch. Kanzler, in: Feuchtwanger und Exil. Glaube und Kultur 1933–45. „Der Tag wird kommen“, ed. F. Stern, 2011, S. 427ff.; DÖW (mit Bild und W.), Filmarchiv Austria (mit Bild), beide Wien.
(Ch. Kanzler)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)