Graf, Ferdinand (1907–1969), Politiker

Graf Ferdinand, Politiker. Geb. Klagenfurt (Kärnten), 15. 6. 1907; gest. Wien, 8. 9. 1969; röm.-kath. Sohn des Schusters Ferdinand Graf. – Nach der Unterstufe des Gymnasiums besuchte G. die Höhere Bundeslehranstalt für Elektrotechnik und studierte anschließend einige Semester Jus an der Universität Graz. Sein Interesse für Politik und den Bauernstand entstand aus der Bekanntschaft mit dem Kärntner Politiker Monsignore →Michael Paulitsch. G. arbeitete zunächst als Sekretär des Kärntner Christlichen Bauernbundes und wirkte 1933–38 als dessen Direktor. Später legitimierte er sich mit dem Kauf einer kleinen Landwirtschaft als Bauer. Im März 1938 wurde G. verhaftet und war dann zweieinhalb Jahre in den KZ Dachau und Flossenbürg inhaftiert. 1941 wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen und musste – „politisch-unzuverlässig“ – als einfacher Soldat den Russlandfeldzug bis Stalingrad mitmachen. 1943 bis Anfang 1945 arbeitete er für eine Baufirma als Lohnverrechner. In Dachau hatte er seine für später bedeutsame Freundschaft mit Leopold Figl geschlossen. Noch vor Kriegsende begannen beide im bereits befreiten Wien mit dem Aufbau des Österreichischen Bauernbundes, bei dem G. 1945–69 abermals die Funktion des Direktors innehatte. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) entsandte ihn in die fünfköpfige Kommission für Öffentliche Sicherheit, wodurch sich ihm ein neues Aufgabengebiet erschloss. Bundeskanzler Figl hätte ihn gerne zum Innenminister gemacht, konnte sich jedoch nicht gegen den Koalitionspartner, die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ), durchsetzen, sodass sich G. mit der Funktion eines Staatssekretärs im Innenministerium (1945–56) begnügen musste. 1945–49 gehörte er dem Bundesrat an. In Parteiversammlungen der ÖVP erwies sich G. als polternder Volkstribun und prangerte zum Missfallen der sowjetischen Besatzungsmacht die Übergriffe von Besatzungssoldaten an. Er setzte sich für die Befriedung mit minderbelasteten Nationalsozialisten und für die soldatische Traditionspflege im Österreichischen Kameradschaftsbund ein. Ein besonderes Anliegen war ihm der Aufbau eines österreichischen Heeres. Er förderte die Aufstellung der sogenannten B-Gendarmerie in den Besatzungszonen der westlichen Alliierten, aus der 1955 nach dem Abzug der Besatzungstruppen das österreichische Bundesheer hervorging, und wurde der erste Verteidigungsminister der 2. Republik. Bei der Vergabe von Heeresaufträgen und bei der Errichtung von Garnisonen erwies er sich gegenüber diversen Wünschen von Politikern auf Kosten militärischer Erfordernisse als zu nachgiebig. Das zeigte sich auch 1956, als das Bundesheer zum Schutz der Grenze zu Ungarn eingesetzt werden musste. Da nach sechs Jahren noch immer kein neuer Landesverteidigungsplan ausgearbeitet worden war, musste G. 1961 aus der Regierung ausscheiden. 1962 verlor er auch sein Nationalratsmandat, das er ab 1949 innegehabt hatte. Als Bundesfinanzreferent der ÖVP, Direktor des Österreichischen Bauerbundes und Aufsichtsratspräsident der Creditanstalt-Bankverein (1961–69) spielte er jedoch weiterhin eine wichtige, wenngleich nicht mehr so auffällige Rolle. Seine Verdienste um den Aufbau der 2. Republik, insbesondere des Bundesheeres, sind unbestritten.

W.: Die organisatorischen Aufgaben der Österreichischen Volkspartei, 1947; Politik des Herzens und der Vernunft, 1948; Schutzwehr des Bürgers, in: Zwanzig Jahre Zweite Republik, ed. L. Reichhold, 1965.
N.: AZ, 9. 9. 1969; NFP, 9. 9. 1969; WZ, 9. 9. 1969 (beide m. B. u. Parte).
L.: J. Mentschl, in: Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik, ed. H. Dachs u. a., 1995, S. 178–184 (m. B.); Biographisches Handbuch der österreichischen Parlamentarier 1918–98, 1998; AdR, Wien; Mitteilung Ferdinand R. Graf, Wien.
(J. Mentschl)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)