Gruber, Karl (1909–1995), Politiker

Gruber Karl, Politiker. Geb. Innsbruck (Tirol), 3. 5. 1909; gest. ebd., 1. 2. 1995; röm.-kath. Sohn des aus dem Thierseetal stammenden Lokomotivführers Peter Gruber und der Südtirolerin Maria Gruber, geb. Runggatscher, die vor 1918 Parteifunktionärin in der Leitung der Tiroler Sozialdemokraten war; ab 1939 mit Helga Gruber, geb. Ahlgrimm, verheiratet. – G. engagierte sich zunächst bei den Kinderfreunden, den Roten Falken und der Sozialistischen Arbeiter-Jugend. Nach Absolvierung der Staatsgewerbeschule in Innsbruck mit Abschluss in Elektrotechnik 1927 widmete er sich nach Ablegung der Oberrealschulmatura 1930 neben seinem Dienst in der Post- und Telegraphendirektion einem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Innsbruck; 1936 Dr. iur. an der Universität Wien. 1934 übersiedelte G. von Innsbruck nach Wien, wechselte dort vom sozialdemokratischen ins Lager der Vaterländischen Front und trat der Wiener CV-Verbindung Austria bei. Im Zuge des „Anschlusses“ 1938 ging er nach Berlin, wo er bei AEG und Telefunken unabkömmlich gestellt wurde. Neben Kontakten zur US-Botschaft in Berlin und zu Widerstandskreisen in Wien konnte er ab 1944 über einen liechtensteinischen Konfidenten mit dem Office of Strategic Services in Bern Verbindung zu Tiroler Widerstandsgruppen aufnehmen, deren Exekutiv- und Ordnungsausschuss er von April bis Mai 1945 leitete. Von der US-Besatzungsmacht als Landeshauptmann von Tirol eingesetzt, gründete G. gemeinsam mit Anton Melzer, Eduard Reut-Nicolussi und Franz Gschnitzer in Innsbruck die Demokratische Österreichische Staatspartei, die sogleich in die ÖVP überführt wurde. Auf der ersten gesamtösterreichischen Länderkonferenz in Wien im September 1945 agierte G. als Sprecher des westlichen Bundesgebiets. Im Zuge der Umbildung der Provisorischen Regierung Renner wurde G. Unterstaatssekretär für Äußeres und nach den Nationalratswahlen vom November 1945 Außenminister in den Kabinetten Figl I, II und Raab I. Daneben fungierte er als Nationalratsabgeordneter der ÖVP für den Tiroler Bauernbund. Im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz schloss er 1946 mit Italiens Ministerpräsidenten und Außenminister Alcide De Gasperi das nach beiden benannte Abkommen, das den deutschsprachigen Südtirolern eine gewisse Autonomie bringen sollte. Früh forcierte G. Österreichs Teilnahme an multilateralen Organisationen wie die Bewerbung um den Beitritt zur UNO (ab 1947) sowie die Mitgliedschaft in der Organisation for European Economic Co-operation (OEEC, 1948). Die Sicherung der territorialen Integrität Österreichs in den Grenzen von 1937 gegen jugoslawische Gebietsansprüche in Kärnten brachte ihm 1949 Anerkennung ein. Parteiinterne Konflikte wegen einer umstrittenen Buchveröffentlichung („Zwischen Befreiung und Freiheit …“, 1953), die Hinweise zu Kontakten zwischen Kanzler Leopold Figl und dem KPÖ-Politiker Ernst Fischer („Figl-Fischerei“) von 1947 enthielt, führten 1953 zu seinem Rücktritt. Nach einer Botschaftertätigkeit in den USA (1954–57), wo er beim Abschluss des österreichischen Staatsvertrags vermittelnd auftreten konnte, wirkte G. als Special Advisor der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (1958–61), als Botschafter in Madrid (1961–66) und Bonn (1966), als Staatssekretär für Verwaltungsreform (1966–69) sowie erneut als Botschafter in Washington (1969–72) und Bern (1972–74). Gemeinsam mit dem steirischen Landeshauptmann Josef Krainer exponierte sich G. in der Neuen Österreichischen Gesellschaft, einem parteiinternen Zusammenschluss für Reformen innerhalb der ÖVP. Ab 1978 Vorsitzender der Gesellschaft für Energiewesen, setzte er sich für die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf ein. Nach dem Ende seines diplomatischen Diensts galt G. als „elder statesman“, dessen politischer Rat gefragt war, sodass er während der Waldheim-Affäre 1987 sogar die Rolle eines Sonderbotschafters in den USA wahrnehmen konnte. Er erhielt u. a. das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich (1954) sowie das Großkreuz des Ordens de Isabel la Católica (1965).

Weitere W.: Ein politisches Leben, 1976; Die Welt im Konflikt, 1982; Meine Partei ist Österreich, 1988.
L.: R. Steininger, Los von Rom?, 1987, s. Reg.; Für Österreichs Freiheit, ed. L. Höbelt, 1991; K. G. Reden und Dokumente 1945–53, ed. M. Gehler, 1994; M. Gehler, in: Christliche Demokratie 12, 1994, S. 27ff.; M. Gehler, in: Das Jahr 1945 in Tirol, Innsbruck 1995, S. 22ff. (Kat.); M. Gehler, in: Verspielte Selbstbestimmung? Die Südtirolfrage 1945/46 …, 1996, s. Reg.; G. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 2005, s. Reg.; M. Gehler, in: 60 Jahre Länderkonferenzen 1945, 2006, S. 27ff.; M. Gehler, Gescheiterte Selbstbestimmung, 2011, s. Reg.
(M. Gehler)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)