Grünewald, Alfred; bis 1922 Grünwald (1884–1942), Schriftsteller und Architekt

Grünewald Alfred, bis 1922 Grünwald, Schriftsteller und Architekt. Geb. Wien, 17. 3. 1884; gest. KZ Auschwitz, Deutsches Reich (PL), vermutlich 9. 9. 1942; mos., ab 1909 röm.-kath. Sohn des Kaufmanns Alexander Grünwald und seiner Frau Minna Grünwald, geb. Goldmann. – G. wuchs in einer gutbürgerlichen, jüdisch-assimilierten Familie auf, besuchte die 2. Staatsrealschule in Wien 2 und schloss diese 1902 mit der Matura ab. Nach einem Studium der Architektur an der Technischen Hochschule in Wien, welches er 1908 mit der 2. Staatsprüfung abschloss, war er Mitarbeiter in →Adolf Loosʼ Architekturbüro, dessen Bauschule er 1912 besuchte. G. arbeitete bis Mitte der 1920er-Jahre als Architekt, gab diesen Brotberuf aber zugunsten der Schriftstellerei – trotz des geringen Erfolgs – auf. Sein Lebensmittelpunkt blieb bis 1938 Wien, wo er in verschiedene literarische Vereinigungen eintrat (P.E.N.-Club, Platen-Gesellschaft) und zuerst im Kreis der „Felonen“, später im Zirkel um Friedrich Schreyvogl verkehrte. Ab den 1930er-Jahren zog er sich immer mehr in die Isolation zurück. Zwischen 1906 und 1937 publizierte G. 13 Lyrikbände. Eine erste Veröffentlichung erfolgte bereits während seiner Studienzeit 1906 mit dem Gedichtband „Vom Lachen und Müdesein“. Ein von Zeitgenossen wie etwa →Felix Salten oder →Franz Theodor Csokor positiv rezipiertes Werk erschien mit der Balladensammlung „Mummenschanz des Todes“ (1909). „Die brennende Blume“ war 1937 sein letzter zu Lebzeiten publizierter Band. Sein lyrisches Werk zeichnet sich anfänglich durch ein Naheverhältnis zur Neoromantik, dann zum Expressionismus aus, Eros und Erotik sind als zentrale Elemente zu betrachten. G. schrieb ebenso Kurzprosa sowie Essays und veröffentlichte zahlreiche Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen wie „Die Fackel“, „Die Muskete“, „Die Zeit“, „Arbeiter-Zeitung“ oder „Neues Wiener Tagblatt“. Als erfolgreichste Schrift darf seine Aphorismen-Sammlung „Ergebnisse“ (1921) eingestuft werden, in der rund 800 Sprüche abgedruckt sind. G.s dramatisches Werk ist weitgehend unbeachtet geblieben, lediglich seine Tragödie „Walpurga und Agathe“ wurde 1935 im Akademietheater in Wien uraufgeführt. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich unternahm G., als Jude und Homosexueller bedroht, im März 1938 einen Selbstmordversuch, blieb dann jedoch bis zur Reichspogromnacht im November 1938 in Wien, als er verhaftet und ins KZ Dachau verbracht wurde. Im Januar 1939 kam er unter der Voraussetzung, das Deutsche Reich zu verlassen, frei, flüchtete Mitte März illegal über die Schweizer Grenze und Italien nach Nizza, wo er nach mehrmaligen Internierungen (Fort Carré in Antibes, Lager Les Milles) bis August 1942 in ärmlichen Verhältnissen lebte. In dieser Zeit widmete er sich intensiv der Schriftstellerei und veröffentlichte bis 1942 Beiträge in der Schweizer Presse. Ende August 1942 wurde G. von der Vichy-Regierung an die Gestapo ausgeliefert und erneut in das Lager Les Milles verbracht, danach in das Sammellager Drancy bei Paris. Anfang September 1942 wurde er mit dem Transport Nr. 29 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er vermutlich unmittelbar nach seiner Ankunft ermordet wurde.

Weitere W.: Sonnenpeter. Ein Drama in vier Aufzügen, 1906; Das Vöglein Süzelin, 1918; Urians Lendenschmuck. Ein Fastnachtspiel in fünf Aufzügen, 1919; Dithyrambischer Herbst, 1920; Sonette an einen Knaben, 1920 (Neuaufl. 2013); Die Streiche des Herrn Sassaparilla, 1922; Tröstliche Kantate, 1928; Gebet um Lieder, 1935; Karfunkel: Neue Balladen und Schwänke, 2013; Reseda und andere Prosa, ed. V. Brühn, 2013. – Teilnachlässe: Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, beide Wien.
L.: Bolbecher–Kaiser; Hdb. jüd. AutorInnen; Kosch; Lexikon deutsch-jüdischer Autoren 9, ed. R. Heuer, 2001; Spuren und Überbleibsel. Bio-bibliographische Blätter 3, ed. E. Früh, 2005; V. Bühn, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 15, 2013, S. 140ff.; ders., in: Zwischenwelt 30, 2013, Nr. 2, S. 28ff.; Website Mémorial de la Shoah, Recherche de Personne, Victimes (Zugriff 7. 1. 2016); TU, Wien.
(K. Bergmann-Pfleger)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 6, 1957), S. 89
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