Grünwald, Josef (1876–1911), Mathematiker und Geometer

Grünwald Josef, Mathematiker und Geometer. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 11. 4. 1876; gest. ebd., 1. 7. 1911; röm.-kath. Sohn von →Anton Karl Grünwald und Philippine Grünwald, Bruder von →Anton Adalbert Grünwald und Alois Grünwald (1882–1931), Professor für Kunstgeschichte in Prag, Onkel von Erich Grünwald (geb. 6. 7. 1903), Elektrotechniker in Prag, und Gerald Grünwald (1929–2009), Professor für Strafrecht in Bonn. – G. besuchte ab 1885 das Kleinseiter Gymnasium, wo er 1893 maturierte. 1893–97 studierte er an der deutschen Universität in Prag v. a. Mathematik, Physik und Astronomie. Daneben besuchte er 1894–96 als ao. Hörer Lehrveranstaltungen aus Geometrie an der deutschen Technischen Hochschule. Nach Beendigung seiner Studien wirkte er fünf Jahre hindurch als Hilfskraft am Institut für Mathematische Physik, unterbrochen durch seine Tätigkeit als erster Assistent an der Prager Sternwarte im Oktober und November 1897. 1898 legte er die Lehramtsprüfung aus Mathematik und Darstellender Geometrie ab; 1899 Dr. phil. aufgrund der beiden Arbeiten „I. Über die linearen Fundamentalconstructionen mit imaginären Elementen“ und „II. Über die Raumcurven vierter Ordnung zweiter Art und die zu ihnen perspectiven ebenen Curven“ (in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 108, 1899). 1899/1900 studierte er an der Universität Göttingen, v. a. bei den Mathematikern Felix Klein und David Hilbert. Ab dem Frühjahr 1900 wirkte G. als Assistent an der Lehrkanzel für Mathematik an der Technischen Hochschule in Wien. Aufgrund einer 1902 eingereichten Habilitationsschrift „Über die Ausbreitung elastischer und elektromagnetischer Wellen in einaxig-kristallinischen Medien“ (in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 111, 1902) wurde er 1903 zum Privatdozenten für Mathematik an der Universität Wien ernannt. 1904 erfolgte die Übertragung der Venia legendi für Mathematik auch auf die Technische Hochschule in Wien. 1906 wurde er als ao. Professor an die deutsche Universität Prag berufen. G. hat durch seine letzte Arbeit „Ein Abbildungsprinzip, welches die ebene Geometrie und Kinematik mit der räumlichen Geometrie verknüpft“ (in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 120, 1911) auch bei modernen Geometern große Beachtung gefunden, wobei Wilhelm Blaschke unabhängig und noch im selben Jahr zu identischen Ergebnissen gelangte und bereits in einem Nachtrag zu seinem Aufsatz „Euklidische Kinematik und nichteuklidische Geometrie I. II.“ (in: Zeitschrift für Mathematik und Physik 60, 1912) und auch später namentlich auf die Leistungen G.s hinwies. Bereits 1906 publizierte G. eine Arbeit über den Kegel der dualen Zahlen, der als das Gegenstück der „Riemannschen Zahlenkugel“ gilt und als „G.scher Kegel“ in die Mathematikgeschichte einging („Über duale Zahlen und ihre Anwendung in der Geometrie“, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 17, 1906). Darüber hinaus veröffentlichte G. in der „Zeitschrift für Mathematik und Physik“ sowie in der „Festschrift Ludwig Boltzmann …“, 1904. Er war ab 1900 Mitglied der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. 1904 erhielt er den Orden der Eisernen Krone III. Klasse.

Weitere W.: s. Poggendorff; Einhorn; Ottowitz.
L.: NFP, Prager Tagblatt, WZ, 2. 7. 1911; NDB; Poggendorff 5 (mit W.); F. Stark u. a., Die k. k. Deutsche Technische Hochschule in Prag 1806–1906, 1906, S. 291, 499; A. Lechner, Geschichte der Technischen Hochschule in Wien, 1942, s. Reg.; W. Blaschke, Projektive Geometrie, 3. Aufl. 1954, S. 98; R. Einhorn, Vertreter der Mathematik und Geometrie an den Wiener Hochschulen 1900–40, 1, 1985, S. 63ff. (mit W.); L. Gårding, in: Archive for History of Exact Sciences 40, 1989, S. 371, 377f.; N. Ottowitz, Der Mathematikunterricht an der Technischen Hochschule in Wien 1815–1918, 2, 1992, S. 395ff. (mit W.); J. Folta, in: Pokroky matematiky, fyziky a astronomie 39, 1994, S. 167; P. Šišma, Matematika na německé technice v Brně, 2002, S. 129, 154ff.; Ch. Binder, in: Internationale Mathematische Nachrichten / International Mathematical News / Nouvelles Mathématiques Internationales 57, 2003, S. 4, 6f., 10f.; M. Bečvářová, Česká matematická komunita v letech 1848 až 1918, 2008, S. 64; TU, UA, beide Wien.
(M. Pesditschek)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 6, 1957), S. 92
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