Hankevyč (Hankiewicz), Mykola (Mikołaj) (1869–1931), Politiker, Publizist und Jurist

Hankevyč (Hankiewicz) Mykola (Mikołaj), Politiker, Publizist und Jurist. Geb. Śniatyn, Galizien (Snjatyn, UA), 16. 5. 1869; gest. Szkło, Polen (Šklo, UA), 31. 6. 1931; griech.-kath. Sohn eines Geistlichen, Vater des Historikers Henryk Wereszycki (geb. Lemberg, Galizien / Lʼviv, UA, 13. 12. 1898; gest. Kraków, PL, 27. 2. 1990). – H. besuchte das Gymnasium in Tarnopol und schloss sich dort einem geheimen Schülerzirkel an, der sich mit sozialistischer Literatur beschäftigte. Er studierte später an der philosophischen Fakultät der Universität Lemberg u. a. ruthenische Philologie bei →Omeljan Ohonovs’kyj, ehe er an die juridische Fakultät wechselte. Sein Studium schloss er nicht ab, führte aber dennoch zeitweise die Kanzlei Kostʼ Levycʼkyjs. Während des Studiums war er u. a. in einem linken Studentenkreis aktiv, der sich um die Zeitschrift „Tovaryš“ gruppierte und dem auch spätere Mitglieder der Ruthenisch-Ukrainischen Radikalen Partei (R-URP) angehörten. Gleichzeitig war H. in polnischen Vereinen aktiv, etwa im Volksbildungsverein Uniwersytet ludowy, wodurch er in die Kritik seiner nationalukrainischen Zeitgenossen geriet. H. war 1890 Mitbegründer der R-URP und Mitarbeiter der Parteizeitschrift „Narod“. Hier hing er dem jüngeren Flügel an, der sich auf den Marxismus und nicht auf die sozialistischen Ideen Mychajlo Drahomanovs stützte. Gemeinsam mit Julijan Bačyns’kyj, Semen Vityk und anderen verließ er die Partei 1899, um die Ukrainische Sozialdemokratische Partei (USDP) zu gründen, die zunächst eine autonome Sektion der Polnischen Sozialdemokratischen Partei (PPSD) bildete, bis es 1907 zur Spaltung kam. Daraufhin agierte die USDP als autonome Sektion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Hintergrund war, dass die Krakauer Parteizentrale der PPSD die Aufstellung H.ʼ als Kandidaten für die Reichsratswahl 1907 verhinderte. H. fungierte 1901–14 als USDP-Vorsitzender und war für deren austromarxistische Ausrichtung mitverantwortlich, die er u. a. in der von ihm bis 1907 herausgegebenen und redigierten Parteizeitung „Volja“ (ab 1907 „Zemlja i Volja“) vertrat. Bei den innerparteilichen Flügelkämpfen 1911–14 setzte er sich für eine Zusammenarbeit mit der PPSD ein. Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs ging er nach Wien und arbeitete mit den zentralen ukrainischen Organisationen zusammen, obwohl ihn zuvor ideologische Differenzen davon abgehalten hatten. Er war Gründungsmitglied der Holovna Ukrajins’ka Rada (1914) und der Zahal’na Ukrajins’ka Rada (1915, stellvertretender Vorsitzender). Als Befürworter der polnisch-ukrainischen Zusammenarbeit hatte er an der Errichtung der Westukrainischen Volksrepublik und dem Polnisch-Ukrainischen Krieg keinen Anteil. Nach der polnischen Besetzung Lembergs saß H. Ende 1918 bzw. Anfang 1919 kurzzeitig im Stadtrat. Die USDP schloss ihn 1921 aus, woraufhin er erneut die Zusammenarbeit mit den polnischen Sozialisten suchte und im Verlauf der 1920er-Jahre Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei wurde.

W.: Socialystyčnyj Internacional i Vijna, 1915; Pro žinoču nedolju v istoryčnim rozvoju, 1918.
L.: V. Temnyc’kyj, M. H., 1932 (mit Bild); K. S. Jobst, Zwischen Nationalismus und Internationalismus. Die polnische und ukrainische Sozialdemokratie in Galizien von 1890 bis 1914, 1996, s. Reg.; K. S. Jobst, in: ldentitätenwandel und nationale Mobilisierung in Regionen ethnischer Diversität, ed. M. Müller – R. Schattkowsky, 2004, S. 89ff.; S. M. Strel’byc’ka, Hromads’ko-polityčna ta naukovo-publicystyčna dijal’nistʼ M. H., phil. Diss. L’viv, 2015; I. Čornovol, in: Ukrajina – Pol’šča: istoryčna spadščyna i suspil’na svidomist’ 11, 2018, S. 73ff.; M. Rohde, in: East/West. Journal of Ukrainian Studies 7, 2020, S. 139ff.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)