Herzog-Hauser, Gertrud (1894–1953), Altphilologin

Herzog-Hauser Gertrud, Altphilologin. Geb. Wien, 15. 6. 1894; gest. ebd., 9. 10. 1953; röm.-kath. Tochter des Gymnasiallehrers Hugo Herzog; ab 1922 mit →Carry Hauser verheiratet. – H. studierte ab 1912 klassische Philologie, Germanistik und Philosophie in Wien, wo sie 1916 bei Ludwig Radermacher promovierte (Dissertation „Harmonias Halsband“, überarbeitet in: Wiener Studien 43, 1923), und in Berlin, wo sie 1922 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff hörte, den Protagonisten einer interdisziplinär orientierten, als umfassende Altertumskunde verstandenen Philologie, die später H.s eigene wissenschaftliche Arbeiten methodisch prägte. In der Weite und in den Schwerpunkten ihrer Interessensgebiete zeigte sich zugleich der Einfluss Radermachers. Die engagierte Katholikin konzentrierte sich vielfach auf religionswissenschaftliche Themen, befasste sich aber auch mit ethnologischen und frauengeschichtlichen Fragestellungen. So habilitierte sie sich 1932 an der Universität Wien mit der Studie „Soter. Die Vorstellung des Retters im altgriechischen Epos“ (1931) als erste Frau für klassische Philologie, verfasste zahlreiche Artikel, u. a. über römische Kaiserinnen, für „Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft“ (RE) und schrieb noch zuletzt über „Die Frau in der griechisch-römischen Antike“ (in: Christentum und moderne Geisteshaltung, ed. Josef Stadlmann – Ludwig Hänsel, 1954). H.s zweiter Wirkungsbereich war das Gymnasium: Ab 1917 unterrichtete sie mit großem Engagement Latein und Griechisch, edierte Texte für den Schulgebrauch und wurde 1937 Direktorin des Mädchengymnasiums in der Rahlgasse (Wien 6). Mit besonderem Einsatz beteiligte sie sich an der bildungspolitischen Diskussion der Zeit, indem sie vehement für eine höhere Mädchenbildung – nicht aber für Koedukation – eintrat. Mit dem „Anschluss“ Österreichs verlor sie im März 1938 ihre berufliche Stellung, einerseits, weil sie im Sinn der Nürnberger Rassengesetze als „Mischling 1. Grades“ eingestuft wurde, anderseits, weil ihre politische Haltung nicht auf der Linie der neuen Machthaber war. Zur gleichen Zeit wurde ihr die Venia legendi an der Universität Wien entzogen, wo sie seit ihrer Habilitation regelmäßig unterrichtet hatte. Während ihr Ehegatte die Kriegsjahre im Schweizer Exil verbrachte, fand H. selbst in den Niederlanden Zuflucht, wohin bald auch ihr Sohn mit Hilfe eines Kindertransports über England gelangte. Von dieser Zeit an publizierte H. auch in niederländischer Sprache. Erst Anfang 1947 konnte die inzwischen in der Schweiz wieder vereinte Familie nach Wien zurückkehren, wo H. mit Mühe eine neue Stelle als Gymnasiallehrerin fand, aber nicht mehr mit der Leitung einer Schule betraut wurde. An der Universität konnte sie aufgrund ihrer erneuerten Venia wieder Lehrveranstaltungen abhalten, erhielt aber keine feste Anstellung. Gleichsam als Entschädigung wurde ihr 1947 der Titel eines ao. Universitätsprofessors verliehen. 1949 scheiterte ihre Bewerbung um ein vakantes Ordinariat ihres Fachs in Innsbruck, wobei antisemitische und frauenfeindliche Ressentiments mit entschieden. 1950 erlitt H. einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr vollständig erholte. H. ist durch Inge Merkels „Zypressen. Drei Erzählungen“ (1983) selbst Gegenstand literarischer Darstellung geworden. Die Autorin, die nach Kriegsende am Seminar für Klassische Philologie beschäftigt war, gestaltete den zweiten Abschnitt „Jüdische Sappho“ als direkte Anrede an die bereits verstorbene Professorin, der sie mit einer nicht immer friktionsfreien Bewunderung zugetan war. Implizit stellte Merkel auch die Institution der alten „Ordinarienuniversität“ in Frage, an der Frauen wie H. nicht zur vollen Entfaltung ihrer Möglichkeiten kommen konnten.

Weitere W.: Uit de Vrouwenbrieven van den H. Hieronymus, 1941; Antonius von Padua, 1947; De Godsdienst der Grieken, 1952. – Ed.: Octavia. Fabula praetexta, 1934, und weitere, vielfach nachgedruckte Schulausgaben (Ovid, Vergil).
L.: A. Lesky, in: Inauguration Univ. Wien 1953/54, 1954, S. 53ff.; E. Cescutti, in: Wissenschafterinnen in und aus Österreich, ed. B. Keintzel – I. Korotin, 2002 (mit Bild); F. Römer – H. Schwabl, in: Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften 5, ed. K. Acham, 2003, S. 99, Anmerkung 69; F. Römer, in: Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955, ed. M. Grandner u. a., 2005, S. 226f.; G. H. (1894–1953), ed. I. Korotin – H. Schrodt, 2009 (mit Bild); UA, Wien.
(F. Römer)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)

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