Hnatjuk, Volodymyr (Wladimir) Mychajlovyč (1871–1926), Ethnologe, Fachschriftsteller und Übersetzer

Hnatjuk Volodymyr (Wladimir) Mychajlovyč, Ethnologe, Fachschriftsteller und Übersetzer. Geb. Weleśniów, Galizien (Velesniv, UA), 9. 5. 1871; gest. Lwów, Polen (L’viv, UA), 6. 10. 1926. Sohn eines Stadtschreibers; ab 1894 verheiratet mit Olena Majkovsʼka. – H. besuchte mit staatlicher Unterstützung, die ihm aufgrund zertifizierter Armut der Familie gewährt wurde, Gymnasien in Butschatsch und Stanislau. 1894–98 studierte er an der Universität Lemberg v. a. slawische und klassische Philologie sowie Geschichte, u. a. bei →Mychajlo Hruševsʼkyj, seinem späteren Förderer. →Antoni Kalina brachte ihn in Kontakt mit →Ivan Franko, der ebenso ein Mentor wurde und seine Folklore-Forschungen unterstützte. Während seines Studiums leitete H. die ukrainische Studentenvereinigung Akademična hromada, organisierte in dieser Funktion die Feierlichkeiten zu Frankos 25-jährigem Schriftstellerjubiläum und gab die betreffende Festschrift heraus. Nach Abschluss seines Studiums sollte er zunächst eine Stelle als Vertretungslehrer außerhalb Lembergs antreten. Deshalb wurden innerhalb der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften (ŠGW) eigene Sekretärsstellen geschaffen, die er in der Folge übernahm. Dadurch gehörte er über viele Jahre dem Ausschuss der ŠGW an und fungierte außerdem von 1899 bis zur Verlegung des Sitzes der Gesellschaft nach Kiew 1907 sowie wieder ab 1922 bis zu seinem Tod als Mitherausgeber des „Literaturno-naukovyj vistnyk“. Für diesen verfasste er zahlreiche publizistische Beiträge sowie ukrainische Übersetzungen deutschsprachiger Werke, beispielsweise von →Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“. Er unternahm darüber hinaus zahlreiche Forschungsreisen zu den Ruthenen in Ungarn (Transkarpatien, Batschka, Banat). Schon früh konnte er Akzente setzen, indem er die ukrainische Nationalbewegung durch publizistische wie wissenschaftliche Werke auf die Lage der Ruthenen in Ungarn aufmerksam machte. 1903 erkrankte er an Tuberkulose und war ab diesem Zeitpunkt gesundheitlich beeinträchtigt. In regem Austausch mit dem Anthropologen und Ethnographen Fedir Vovk sowie mit Franko stehend, modernisierte er die ukrainische ethnographische Forschung. Als Sekretär der ethnographischen Kommission der ŠGW war er für Aufbau und Erhalt eines Mitarbeiternetzwerks inner- und außerhalb Österreich-Ungarns zuständig. Dieses sammelte Volksdichtungen, die er in dem zunächst gemeinsam mit Franko herausgegebenen „Etnohrafičnyj zbirnyk“ der Gesellschaft veröffentlichte, sowie ethnographische Artefakte für das Museum der ŠGW. In Kooperation mit →Friedrich Salomon Krauss brachte er unter dem Titel „Das Geschlechtleben des ukrainischen Bauernvolkes“ (2 Bde., 1909–12) deutsche Übersetzungen einschlägiger ukrainischer Folklore in dessen Reihe „Anthropopytheia“ heraus. Seine Anstellungen verlor er sukzessive bis zum 1. Weltkrieg, die ŠGW genehmigte ihm jedoch eine kostenfreie Unterkunft in ihren Räumlichkeiten. Ab 1909 war H. korrespondierendes Mitglied der russländischen kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.

Weitere W. (s. auch M. Mušynka, V. H. Bibliohrafiia drukovanych pracʼ, 1987): Ukrajinsʼka narodna slovesʼnistʼ, 1916.
L.: V. H. Dokumenty i materiialy (1871–1989), ed. J. Daškevyč, 1998; I. P. Ivanjuta, Naukova ta hromadsʼko-polityčna dijal’nistʼ akademika V. H. ..., Diss. Ternopilʼ, 2002; O. M. Šeremeta, V. H. i ukrajinsʼka etnohrafična nauka ..., Diss. Lʼviv, 2003; M. Mušynka, V. H. Žyttja ta joho dijalʼnistʼ v haluzi folʼklorystyky, literaturoznavsta ta movoznavstva, 2012; M. Rohde, in: Studia Historiae Scientiarum 18, 2019 (online); L’vivs’ka nacional’na naukova biblioteka im. V. Stefanyka, Central’nyj deržavnyj istoryčnyj archiv Ukrajiny, mesto L’viv, beide L’viv, Nacional’na biblioteka Ukrajiny imeni V. I. Vernads’koho, Kyjiv, alle UA.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)