Hormayr zu Hortenburg, Josef Frh. von (1781-1848), Historiker

Hormayr zu Hortenburg Josef Frh. von, Historiker. * Innsbruck, 20. 1. 1781; † München, 5. 11. 1848. Stud. an der Univ. Innsbruck Rechtswiss., bereits 1797 Praktikant beim Stadt- und Landrecht. 1800 in den verstärkten Tiroler Landsturm eingereiht, kehrte er, von den Ständen ausgezeichnet, als Mjr. heim. Schon während seines Stud. schrieb er geschichtliche Abhh. und galt deshalb als künftiger Tiroler Historiker, als ihm J. v. Müller riet, nach Wien zu gehen (September 1801). Seine ungewöhnliche Begabung, einflußreiche Gönner und der glückliche Umstand, daß in dieser Zeit des Kampfes gegen Napoleon Leute mit Ideen geschätzt wurden, ermöglichten ihm einen unerhörten Aufstieg. 1802 Hofkonzipist in der Staatskanzlei, 1803 Hofsekretär, 1808 Dir. des k. k. geh. Staats-, Hof- und Hausarchivs und Hofrat. Von Erzh. Johann mit den Vorbereitungen zum Tiroler Aufstand (1809) betraut, hat er seine glänzenden organisator. Fähigkeiten auch hier erwiesen und als Intendant und Publizist während der Kämpfe unbestreitbare Verdienste erworben, diese aber nachher maßlos übertrieben. Als H. mit Erzh. Johann und anderen 1813 eine neuerliche Erhebung ins Werk setzen wollte (Alpenbund), griff Metternich so ungewöhnlich hart zu, daß es scheint, er habe von der erprobten Tatkraft des Tirolers persönlich mehr befürchtet als die Bloßstellung seiner Politik gegen Napoleon. Die Verschleppung nach Munkács, die Überstellung auf den Spielberg, der Zwangsaufenthalt in Brünn, die Verweigerung eines gerichtlichen Verfahrens mußten den eitlen, ehrgeizigen Mann, der doch auch aus heißer Vaterlandsliebe gehandelt hatte, empfindlich treffen. Die Ernennung zum Reichshistoriographen konnte seine einstige Stellung nicht ersetzen. Das Scheitern aller Versuche wieder hochzukommen ließ H. schließlich 1828 in bayer. Dienste treten. Trotz des Wohlwollens des Königs veranlaßten Feindschaften altbayer. Kreise seine Sendung als Ministerresidenten nach Hannover, dannnach Bremen. Überall trat er als Förderer wiss. Bestrebungen auf. 1846 nach München zurückberufen, übernahm er die Leitung des Reichsarchivs. H.s Bedeutung liegt nicht in seinen Leistungen als Historiker. Rasch, zudem viel aus dem Gedächtnis arbeitend, ließ er es an Tiefe, Gründlichkeit und Kritik fehlen. Eine eigene Geschichtsauffassung hatte er nicht. Durch die Zeitläufte bedingt, wandelte er sich immer mehr zum Publizisten, der selbst vor gewagten Eingriffen in den Stoff nicht zurückschreckte. Letzten Endes lag auch sein Ende als „Pamphletist und Diplomat“, wie Metternich sagte, auf dieser Linie, doch soll man gerechterweise die Schwierigkeiten nicht übersehen, die ihm der Staatskanzler auch noch nach 1828 bereitete. H.s wahre Größe liegt in seiner Tätigkeit als Anreger und Förderer. Unermüdlich war er bestrebt gewesen, Verständnis für hist. Geschehen zu wecken und darauf aufbauend in den von ihm geleiteten Reihen (Archiv etc.) und durch den persönlichen Einfluß auf Wissenschafter, Dichter und Künstler einen gesamtösterr. Patriotismus zu schaffen. Unvergessen bleibt sein Eintreten für die Klassiker. Seine Bedeutung für die Landesgeschichte und landeskundliche Geschichtsforschung ist trotz vieler Einzelarbeiten auch heute noch nicht voll gewürdigt.

W.: Versuch einer pragmat. Geschichte der Gfn. von Andechs, 1796; Krit.-diplomat. Beiträge zur Geschichte Tirols im Mittelalter, 1802; Tiroler Almanach für die Jahre 1802–05; Hist.-statist. Archiv für Süddeutschland, 2 Bde., 1807–08; Österr. Plutarch, 20 Tle., 1807–12; Österr. und Deutschland, 1814; Geschichte Andreas Hofers, 1816, 2. Aufl. 1845; Allg. Geschichte der neuesten Zeit, 3 Tle., 1817–18; Wiens Geschichte und seine Denkwürdigkeiten, 1823–25; Die geschichtlichen Fresken in den Arkaden des Hofgartens zu München, 1829; Kleine hist. Schriften und Gedächtnisreden, 1832; Fragmente über Deutschlands und insonderheit Bayerns Welthandel, 1840–42; Lebensbilder aus dem Befreiungskriege, 1841–44; Die goldene Chronik von Hohenschwangau, 1842; Anemonen aus dem Tagebuch eines alten Pilgersmannes, 4 Bde.,1845–47; K. Franz und Metternich, 1848; etc. Hrsg.: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst, 1809–28; Taschenbuch für die Vaterländ. Geschichte, 1811–14 und 1822–48.
L.: M. Bezdeka, Biographie des Frh. J. v. H., Diss. Wien, 1933; J. Hirn, Andreas Hofer und H., in: Die Kultur, Jg. 1, 1899; K. Glossy, H. und Karoline Pichler, in: Jb. der Grillparzer-Ges. 12, 1902, S. 212ff.; E. Lamm, Beiträge zur Würdigung J. v. H.s als Historiker, Diss. Wien, 1918; F. Bock, Fälschungen des Frh. v. H., in: Neues Archiv 47, 1928, S. 225ff.; O. Roth, Die Staatsanschauung des Frh. v. H., Diss. Wien, 1929; Bittner, Bd. 1, 1936, S. 55ff.; A. Siegl-Siegville, Das Problem der österr. Nation bei Frh. v. H., Diss. Wien, 1936; G. Rolletschek, Zur geistigen Entwicklung des Frh. v. H., Diss. Wien, 1937; M. P. Prins, J. F. v. H., van apostel der oostenrijksnationale gedachte tot pionier der duitse eenheid, 1938; B. Horacek, Grillparzer und H., Diss. Wien, 1942; J. K. Mayr, H.s Verhaftung 1813, in: Z. für bayer. Landesgeschichte, Bd. 13, 1942, S. 330 ff.; A. Mayrhofer-Schmid, H. und die Romantik, Diss. Wien, 1949; F. v. Krones, Tirol von 1812–16 und Erzh. Johann, 1890; ders., Aus Österr. stillen und bewegten Jahren 1813–15, Tl. 2, 1892; K. Glossy, Aus dem Vormärz, in: Jb. der Grillparzer-Ges. 10, 1900, S. 323ff. und 336ff.; J. Wihan, Matthäus von Collin und die patriot.-nationalen Kunstbestrebungen in Österr. zu Beginn des 19. Jhs., in: Euphorion, Erg. Bd. 5, 1901, S. 93ff.; E. v. Wertheimer, Die Revolutionierung Tirols im Jahre 1813, in: Dt. Rundschau, Bd. 120, 1904, S. 80 und 217ff.; J. Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, 1909; H. v. Voltelini, Forschungen und Beiträge zur Geschichte des Tiroler Aufstandes im Jahre 1809, 1909; L. A. Frankl, Erinnerungen, 1910; C. Pichler, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, 1914; H. v. Srbik, Metternich. Der Staatsmann und Mensch, 3 Bde., 1925–54; A. Robert, L’idée nationale autrichienne et les guerres de Napoléon. L’apostolat du baron de H. et le salon de Caroline Pichler, 1933; H. v. Srbik, Geist und Geschichte vom dt. Humanismus bis zur Gegenwart, Bd. l, 1950, S. 231; E. Hündler, Die österr. Historiographie im Vormärz, Diss. Wien, 1951; Uhlirz, s. Reg.; Giebisch–Pichler–Vancsa; Goedeke VI, 1898, S. 342, 664; Nagl–Zeidler–Castle, s. Reg.; S. M. Prem, Geschichte der neueren dt. Literatur in Tirol, 1922, S. 59 ff.; Wurzbach; ADB.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 10, 1959), S. 419ff.
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