Kiesewetter (Kiesewetter von Wiesenbrunn), Irene; verehel. Gräfin Prokesch von Osten (Prokesch-Osten) (1809–1872), Pianistin und Salonière

Kiesewetter (Kiesewetter von Wiesenbrunn) Irene, verheiratete Gräfin Prokesch von Osten (Prokesch-Osten), Pianistin und Salonière. Geb. Wien, 27. 3. 1809 (nicht 1811); gest. Graz (Steiermark), 7. 7. 1872; röm.-kath. Tochter des Wiener Hofbeamten →Raphael Georg Kiesewetter von Wiesenbrunn und der Jakobine Kiesewetter von Wiesenbrunn, geb. Cavallo (1773–1845), Mutter u. a. von Anton Prokesch-Osten jun. (1837–1919), der mit der Schauspielerin →Friederike Gossmann verheiratet war, und Irene Prokesch-Osten, verheiratete von Reyer (1841–1898); ab 1832 verheiratet mit →Anton Graf Prokesch von Osten. – K. wuchs in einem kunst- und kulturinteressierten Elternhaus auf. Ihr Vater war vielfältig musikalisch gebildet und nahm sowohl als Ausübender als auch als Musikforscher eine einflussreiche Rolle im Wiener Kultur- und Geistesleben ein. Legendär wurden die von ihm privat veranstalteten musikalischen Abende, bei denen er als leidenschaftlicher Musikaliensammler Werke des 17. und 18. Jahrhunderts aufführen ließ. Dies war wohl der Nährboden für K.s musikalische Schulung, konkrete Details zu ihrem Klavier- und Musikunterricht fehlen jedoch. Zum Freundeskreis der Familie zählte auch →Franz Schubert. Dieser schrieb für K. die Kantate „Al par del ruscelletto“ D 936 (1827 komponiert, aufgeführt im April 1827 als „Vokal-Quartett mit Chor/Nachträgliche Gratulation zum Namensfeste der Fräulein Irene“) und „Der Tanz“ D 826 (komponiert 1828 zur Genesung K.s). K.s Auftritte im privaten Bereich als Pianistin, seltener als Sängerin, erfolgten wiederholt in Verbindung mit Werken Schuberts. Belegt sind Darbietungen von vierhändigen Kompositionen (vorgetragen gemeinsam mit →Johann Baptist Jenger) sowie die Klavierbegleitung von Schubert-Liedern. Dabei trat sie mit Sängern wie →Karl Freiherr von Schönstein und →Benedikt Randhartinger auf und übernahm gelegentlich (beispielsweise 1830) die Organisation bzw. Leitung („Direction“) dieser musikalischen Abende, die sich unmittelbar nach Schuberts Tod fortsetzten. Auch Klavierwerke von →Ludwig van Beethoven oder Transkriptionen von symphonischen Werken wurden im Rahmen dieser Abende gespielt. Wie aus Briefen hervorgeht, dürfte K. gelegentlich selbst Liedtexte vertont haben. Nach ihrer Heirat führten die diplomatischen Verpflichtungen ihres Mannes das Ehepaar zunächst nach Athen, wo es das gesellschaftliche Leben und die musikalischen Abende mit K. am Klavier fortführte. Nach Aufenthalten der Familie in Berlin (ab 1849) und Frankfurt (ab 1853) ließ sich K. in Graz nieder, während ihr Mann in verschiedenen Funktionen im Dienst der österreichischen Botschaft in Konstantinopel tätig blieb. Auch das Grazer Zuhause (heute: Palais Prokesch-Osten, erworben 1859) wurde ein Treffpunkt für Kulturinteressierte. K.s Bedeutung liegt in ihrem konsequenten, sich über Jahrzehnte erstreckenden Auftreten als Pianistin im privaten Bereich sowie in ihrer Rolle als Gastgeberin von musikalischen Abenden, wodurch Netzwerke gepflegt wurden und teils Musik zur Aufführung kam, bevor sie der Öffentlichkeit bekannt wurde. Ihr umfassendes musikkulturelles Handeln bezeugt neben musikalischen auch kommunikative und organisatorische Kompetenzen.

L.: oeml (Familienartikel); Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch von Osten …, ed. A. Prokesch (der Jüngere), 1909, s. Reg.; D. Bertsch, A. Prokesch von Osten (1795–1876), 2005, passim; I. Harer, in: Jahrbuch des Steiermärkischen Landesarchivs 2, 2019, S. 161ff., 3, 2020, S. 95ff.; I. Harer, in: Musik im Zusammenhang. Festschrift …, ed. K. Aringer u. a., 2019, S. 257ff.; Instrumentalistinnenlexikon / Sophie Drinker Institut (mit Bild, Zugriff 30. 9. 2021); MUGI. Musik und Gender im Internet (Zugriff 30. 9. 2021);Gentz digital (online, Zugriff 30. 9. 2021); HHStA, Österreichische Nationalbibliothek (Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Musiksammlung), Pfarre Unsere Liebe Frau zu den Schotten, WStLA, alle Wien; Steiermärkisches Landesarchiv, Pfarre Graz-St. Leonhard, beide Graz, Steiermark; Mitteilung Peter Rastl, Wien.
(I. Harer)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)