Klein, Franz (1854-1926), Jurist

Klein Franz, Jurist. * Wien, 24. 4. 1854; † Wien, 6. 4. 1926. Sohn eines Beamten; stud. an der Univ. Wien Jus, 1878 Dr.jur., 1879 Richteramtsprüfung, 1883 Advokatenprüfung. 1878–85 war er Konzipient in der Advokaturskanzlei Dr. J. Krükls; 1885 Priv. Doz. für Österr. Zivilprozeßrecht an der rechts- und staatswiss. Fak. der Univ. Wien, 1891 Ausdehnung der Lehrbefugnis auf Röm. Recht, 1885–91 Kanzleidir. der Univ. Wien, 1887–96 ao. Prof. des Zivilprozeß-, Handels- und Wechselrechtes an der Oriental. Akad. (der späteren Konsularakad.), ab 1895 tit. o. Univ. Prof. (Honorarprof.) mit Lehrauftrag. Auf Grund der Abhh. in den „Juristischen Blättern“ „Pro futuro, Betrachtungen über Pläne der Zivilprozeßreform in Österr.“, 1890, wurde K. 1891 auf Anregung E. Steinbachs in das k.k. Justizmin. als Min. Sekr. berufen, wo er sehr bald die führende Persönlichkeit der Gesetzgebungsabt. wurde. 1893 legte die Regierung dem Parlament die Entwürfe einer Jurisdiktionsnorm, Zivilprozeßordnung und Exekutionsordnung vor, bald darauf die eines Gerichtsorganisationsgesetzes sowie eines Gewerbegerichtsgesetzes, alle von K. verfaßt. K. selbst besiegte als Regierungsvertreter die im Abg.-Haus aufgetretenen Widerstände durch seine glänzende Beredsamkeit, so daß 1893 die Jurisdiktionsnorm und die Zivilprozeßordnung samt ihren Einführungsgesetzen verabschiedet wurden. Die zugehörigen weiteren Gesetze und eine Geschäftsordnung für die Gerichte erschienen etwas später. Am 1. 1. 1898 begann die neue Ära der bürgerlichen Rechtspflege. K. bereitete die Durchführung der Gesetze sorgfältig vor und trat durch wiss. Propaganda für eine lebendige, dem Geiste des Gesetzes entsprechende Praxis ein. 1905 hatte K. die Leitung des Justizmin. in den Kabinetten Gautsch (s. d.) und Hohenlohe (s. d.) und wurde in das Herrenhaus berufen. 1906–08 Justizmin. im Min. Beck (s. d.), 1916 Justizmin. im Min. Körber. Während der ersten Ministerschaft K.s wurden unter seinem persönlichen Einsatz geschaffen: Das Scheckgesetz, das Gesetz zum Schutze der Wahl- und Versammlungsfreiheit, das Gesetz über Ges. mit beschränkter Haftung, das Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz, ebenso erfolgte die Einbringung einer Vorlage betreffend die strafrechtliche Behandlung und den strafrechtlichen Schutz Jugendlicher, Mitarbeit an der Erneuerung des Bürgerlichen Gesetzbuches durch Vorbereitung der Teilnovellen, Ausarbeitung des Versicherungsvertragsgesetzes und eines Gesetzes über das Entmündigungsverfahren. K. hatte den persönlichen Vorsitz in der Komm. zur Schaffung eines neuen Strafgesetzbuches (1907–08) und wirkte im Herrenhaus für ein Gesetz über das Baurecht (1912). Nach dem Zerfall Österr. war er Kandidat der bürgerlich-demokrat. Partei zur Wahl in die konstituierende Nationalversmlg. 1919 (es fehlten 60 Stimmen auf das Mandat). K. vollzog mit der Schöpfung der Verfahrensgesetze eine bewußte Abkehr von bloßem Historismus und Begriffsjurisprudenz, indem er bei der Regelung des Verfahrens auch auf den Prozeß als soziale Massenerscheinung unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gegebenheiten sowie auf die Psychol. der handelnden Personen besonders Bedacht nahm. Mit dem Gelingen der Einführung der Justizgesetze erlahmte K.s Interesse am Zivilprozeß. Er war mehr und mehr mit seiner Beamtenstellung unzufrieden und wandte sich den sozialen Aufgaben des Rechtes und dessen Zusammenhang mit Ges. und Wirtschaft zu. K. interessierte sich für alles, was zur Hebung des Volkswohles, der Bildung der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung diente. So stand er u.a. an der Spitze der Veranstaltung der Wr. internationalen Universitätskurse, er beteiligte sich hervorragend an der österr. Anti-Duell-Liga und an den verschiedensten Ges. und Verbänden gemeinnütziger, künstler. oder wiss. Bestimmung. In der Geschichte Österr. wird K. — gleich Zeidler und Glaser (s. d.) - als Gesetzgeber und Reformator der Rechtspflege einen Ehrenplatz einnehmen. 1919 war er Mitgl. der Österr. Delegation bei den Friedensverhandlungen von St. Germain, vielfach geehrt und ausgezeichnet, u.a. Ehrenmitgl. der Österr. Akad. der Wiss. in Wien, Vorsitzender der Wr. Jurist. Ges., Dr. h.c. der Univ. Czernowitz, Graz, Kiel, Heidelberg und Bonn.

W.: Die schuldhafte Parteihandlung, 1885; Sachbesitz und Ersitzung, 1891; Pro futuro, Betrachtungen über Pläne der Zivilprozeßform in Österr., 1891; Mündlichkeitstypen, 1894; Vorlesungen über die Praxis des Zivilprozesses, 1902; Entwicklung in Verfassung und Recht der AG, 1904; Die Lebenskraft des ABGB, in: Festschrift zur Jahrhundertfeier, 1911; Die psych. Quellen des Rechtsgehorsams und der Rechtsgeltung, 1912; Das Organisationswesen der Gegenwart, 1913; Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des Rechtes der Erwerbsges., 1914; Der wirtschaftliche Nebenkrieg, 1916; Die geldrechtlichen Probleme der Stabilisierung, in: Schriften des Ver. für Sozialpolitik, Bd. 164, 2, 1923; Der Zivilprozeß Österr., gem. mit F. Engel, in: Das Zivilprozeßrecht der Kulturstaaten, Bd. 3, 1927; Reden, Vorträge, Aufsätze, Briefe, 2 Bde., posthum, hrsg. von J. und O. Friedländer, 1927; Verhh. des Dt. Juristentages: 22., 1892, 1, S. 431 ff., 26., 1902, 3, S. 299ff., 27., 1904, 2, S. 467ff., S. 540ff., 30., 1910, 2, S. 127ff., S. 583ff., 31., 1912, 3, S. 348ff., S. 406ff., S. 424ff., 32., 1922, 3, S. 65 ff.
L.: N.Fr.Pr. vom 1. 1. und 18. 8. 1905, 24. 4. 1914, 30. und 31. 10. 1916; Wr.Ztg. vom 23. 4. 1914; R.P. vom 22. 4. 1914 und 1. 11. 1916; Jurist. Bll., Jg. 37, 1908, S. 303 f., Jg. 45, 1916, S. 544; Reden, Vorträge, Aufsätze, Briefe, posthum hrsg. von J. und O. Friedländer, 1927, Bd. 1, S. 14 ff.; Verhh. des 34. Dt. Juristentages zu Köln 1926, 2, 1927, S. 30 ff.; Almanach Wien, 1926; Feierl. Inauguration 1926/27; Iherings Jb., Bd. 78, 1928, S. V ff.; Z. für Zivilprozeß, Jg. 51, 1928, S. 407ff., Jg. 60, 1938, S. 272 ff.; Österr.Anwaltsztg., Jg. 14, 1937, S. 221 ff.; Neue Österr. Biographie 4, 1927; Kosch, Das kath. Deutschland (Werksverzeichnis); Wer ist’s? 1908.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 3 (Lfg. 14, 1964), S. 378f.
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