Kolessa, Oleksandr (Alexander, Aleksander) Mychajlovyč (1867–1945), Politiker und Literaturwissenschaftler

Kolessa Oleksandr (Alexander, Aleksander) Mychajlovyč, Politiker und Literaturwissenschaftler. Geb. Sopot, Galizien (Sopit, UA), 24. 4. 1867; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 9. 5. 1945; griech.-kath. Sohn des griechisch-katholischen Geistlichen Mychajlo (Michael) Kolessa (gest. 1899), Bruder des Folkloristen und Musikwissenschaftlers Filaret Kolessa (geb. Tatarsko, Galizien / Piščany, UA, 17. 7. 1871; gest. L’vov, UdSSR / L’viv, UA, 3. 3. 1946) und des Ethnographen Ivan Kolessa (geb. Chodowice, Galizien / Chodovyči, UA, 1864; gest. Lemberg, Galizien / L’viv, UA, 8. 2. 1898), Vater der Pianistin Ljubov (Ljubka) Kolessa (geb. Lemberg, 19. 5. 1902; gest. Toronto, CDN, 19. 8. 1997), Onkel des Komponisten, Dirigenten und Pädagogen Mykola Kolessa (geb. Sambor, Galizien / Sambir, UA, 6. 12. 1903; gest. Lʼviv, 8. 6. 2006); verheiratet mit Olga Litynska. – K. besuchte zunächst für sechs Jahre das Gymnasium in Drohobycz, um nach zwei weiteren Jahren am Gymnasium in Stryj zu maturieren. Er inskribierte 1888 an der philosophischen Fakultät der Universität Lemberg, wo er slawische und klassische Philologie sowie Philosophie studierte. Währenddessen arbeitete er in der Universitätsbibliothek und im Ossolineum. Einzelne Semester verbrachte er in Czernowitz und Fribourg. 1893 erhielt er ein Stipendium, das ihm eigenständige literaturwissenschaftliche Forschungen ermöglichte, die im Folgejahr zur Promotion in Wien bei →Vatroslav von Jagić mit einer literaturgeschichtlichen Arbeit zur „ukrainischen Schule“ der polnischen Poesie führten. 1895 habilitierte er sich an der Universität Czernowitz für ukrainische Literatur und Sprache. Daraufhin fungierte er bis 1897 als Dozent der Universität Lemberg, ehe er in Nachfolge →→Omeljan Ohonovs’kyjs zum ao. Professor berufen wurde; 1900 o. Professor. 1899 war K. Gründungsmitglied der Ukrainischen Nationaldemokratischen Partei, 1907–18 gehörte er dem Abgeordnetenhaus des Reichsrats an. Hier setzte er sich insbesondere für die Gleichberechtigung der ruthenisch-ukrainischen Bevölkerung Galiziens im Bildungssektor ein und war Mitglied im Universitätsausschuss des Ukrainischen Verbands. 1915 war er Mitbegründer des Allgemeinen Ukrainischen Rats und in weitere ukrainische Organisationen in Wien involviert. Als Reichsratsabgeordneter gehörte er der konstituierenden Versammlung der Westukrainischen Volksrepublik im Oktober 1918 an. 1921 vertrat er Letztere kurzzeitig als Diplomat in Rom. K. war maßgeblich an der Gründung der Freien Ukrainischen Universität beteiligt, die sich nach einem Semester freien Vortragsprogramms in Wien im Herbst 1921 in Prag formell gründete. Hier fungierte K. als Professor für ukrainische Sprache und Literatur und mehrfacher Rektor (1921–22, 1925–28, 1935–37, 1943–44). Zudem wurde K. 1923 zum Professor an der tschechischen Universität Prag und zum Mitglied des 1922 gegründeten (und 1928 de facto eröffneten) Slawischen Instituts (Slovanský ústav) der Česká akademie věd a umění berufen. Bereits 1898 war er zum wirklichen Mitglied der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften und 1902 zum Konservator für ruthenisches Archivwesen der Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale ernannt worden. K. war zudem Mitglied des Bildungsvereins Prosvita (zeitweise stellvertretender Vorsitzender) sowie Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender der Petro-Mohyla-Gesellschaft für ukrainische wissenschaftliche Vorträge.

W.: Ševčenko i Mickevyč, in: Zapysky Naukovoho Tovarystva im. Ševčenka 3, 1894; Dialectologische Merkmale des südrussischen Denkmals „Žitije sv. Savy“, in: Archiv für Slavische Philologie 18, 1896; Ukraińska rytmika ludowa w poezyach Bohdana Zaleskiego, in: Księga pamiątkowa Uniwersytetu Lwowskiego ku uczczeniu pięćsetnej rocznicy Fundacyi Jagiellońskiej Uniwersytetu Krakowskiego, 1900; Pohljad na istoriju ukrajins’koji movy, 1921; Geneza ukrajins’koji novitnoji povisty, 1927.
L.: Adlgasser; H. Binder, Galizien in Wien, 2005, s. Reg.; M. Šafoval, Universitas Libera Ucrainensis, 2011, S. 49, 159ff.; Encyklopedija sučasnoji Ukrajiny 14, 2014; M. Rohde, in: East/West. Journal of Ukrainian Studies 7, 2020, S. 139ff.; UA, Wien; UA, Praha, CZ; Central’nyj deržavnyj archiv vyščych orhaniv vlady ta upravlinnja Ukrajiny, Kyjiv, Central’nyj deržavnyj istoryčnyj archiv Ukrajiny, misto L’viv, Deržavnyj archiv Lʼvivs’koji oblasti, Ternopilʼ, alle UA.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)