Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Gf. von (1778-1861), Politiker

Kolowrat-Liebsteinsky Franz Anton Graf von, Staatsmann. * Prag, 31. 1. 1778; † Wien, 4. 4. 1861. Neffe des Folgenden; begann 1799 seine Laufbahn als Praktikant beim Berauner Kreisamt und hatte als Führungskoär. die auf den italien. Kriegsschauplatz ziehenden Russen Suworows durch Böhmen zu geleiten. Nach Dienstleistung als unbesoldeter Kreiskoär. in Kaurzim und als Gubernialrat in Prag wurde er 1806 zum Oberlandeskoär. bei der böhm. Neutralitätsarmee bestellt. 1807 wurde er Prager Stadthauptmann, 1808 Hofrat, 1809 Oberstburggraf. In den anderthalb Dezennien, die K. die Verwaltung des Königreiches Böhmen führte, entwickelte er eine reiche und vielseitige Tätigkeit, nicht zuletzt auf dem Gebiet der sozialen Wohlfahrt; er zählte auch zu den besonderen Förderern des böhm. Nationalmus. 1826 zum Staats- und Konferenzmin. ernannt, hatte er die polit. und die Finanz-Sektion des Staatsrates zu leiten. Seine, besonders auf dem Gebiet des Finanzwesens verdienstvolle Arbeit wurde aber stark beeinträchtigt durch den Gegensatz zu Metternich. Da beide nach einer beherrschenden Machtstellung strebten, war ein friedliches Nebeneinander unmöglich. Besonders heftig entbrannte der Machtkampf nach dem Tode von K. Franz (s. d.). Der 1836 als oberstes Regierungskollegium eingerichteten Staatskonferenz, die eine Art Vormundschaft für den regierungsunfähigen K. Ferdinand (s. d.) zu führen hatte und unter dem Vorsitz von Erzh. Ludwig tagte, gehörten als permanente Mitgl. nur Metternich und K. an, beide mit gleichen Rechten. Beide traf damit aber auch die schwere Last der Verantwortung für den verhängnisvollen Stillstand des öffentlichen Lebens, der die „Sterbejahre Alt-Österreichs“ kennzeichnet: ihre unüberwindliche Tatenscheu und ihr verkrampftes Festhalten am Hergebrachten verhinderte jede Reform und führte schließlich zum Zusammenbruch des „Systems“, das nach seinem vornehmsten Träger das „Metternichsche“ genannt wurde. K. aber rückte 1848 endlich an die erste Stelle im Staate vor — am 20. 3. 1848 wurde er zum Präs. des ersten konstitutionellen Min. ernannt, gab jedoch aus gesundheitlichen Gründen bereits am 19. 4. seine Demission und trat polit. nie mehr hervor. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, Ehrenmitgl. der Akad. der Wiss. in Wien.

L.: Almanach Wien, 1861; Wurzbach; Tagebücher des C. F. Frh. Kübeck v. Kübau, hrsg. von M. Frh. v. Kübeck, 2 Bde., 1909; A. Fournier, Gf. K. und die österr. Staatskonferenz von 1836, in: Hist. Stud. und Skizzen, Bd. 3, 1912; V. Bibl, Der Zerfall Österr., 2 Bde., 1924; H. v. Srbik, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, 2 Bde., 1925; F. Walter, Die österr. Zentralverwaltung. Die Zeit Franz’ II. (I.) und Ferdinands I. (1792–1848), II. Abt., Bd. 1/2, 1956; ders., Metternich und Gervay. Ein Briefwechsel, in: Mitt. des österr. Staatsarchivs, Bd. 9, 1956, S. 186–262; Uhlirz, s. Reg.
(Walter)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 4 (Lfg. 17, 1967), S. 97
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>