Kranewitter, Franz (1860-1938), Schriftsteller

Kranewitter Franz, Dramatiker. * Nassereith b. Imst (Tirol), 18. 12. 1860; † ebenda, 4. 1. 1938. Sohn eines Färbermeisters, Enkel des 1809 als Hptm. der heimatlichen Scharfschützenkompagnie und Mitkämpfer A. Hofers mit der Gold. Tapferkeitsmedaille ausgezeichneten Franz K. Absolv. die Gymn.-Stud. in Bozen, Hall und Innsbruck, der Stätte seines späteren Wirkens. Ernste Lebensauffassung, Unbeugsamkeit und Wissen um die Tragik des Daseins sprechen schon aus den Jugendwerken und aus der urwüchsigen Selbstbiographie. Als Führer der literar. Bewegung „Jungtirol“ von A. Pichler gefördert, trat K. zunächst mit der Gedichtsmlg. „Lyrische Fresken“ hervor, blieb aber nach seinem Bühnenerfolg „Um Haus und Hof“, der ersten naturalist. Bauerntragödie Tirols, mit der eine literar. Revolution einsetzte, dem Drama verbunden. Der tirol. Geschichte entnommen sind die Stoffe zu den Dramen „Michel Gaißmayr“ und „Andre Hofer“, ein psycholog. vertieftes, trag. begründetes Schicksal des Tiroler Freiheitshelden von 1809: kein patriot. Held, sondern schuldig geworden und als Märtyrer des Gewissens zu wahrer Seelengröße gewachsen. Aus dt. Sagenmythos schuf K. das subjektivste seiner Stücke, „Wieland der Schmied“ (Konflikt: Kunst–Leben), aus der mittelalterlichen Geschichte „Bruder Ubaldus“ und „Thassilo und Liutberga“. Sein volksdramat. Hauptwerk bildet der Einakterzyklus „Die sieben Todsünden“ mit dem grausigen Epilog „Totentanz“, eine Folge von Szenen in konzentrierter Form, die in schärfstem Realismus und atemraubender Dramatik Begebenheiten aus dem Bauernleben gestalten, welche die verheerenden Folgen entfesselter Leidenschaften aufzeigen. Die humorvoll-satir. Komödien tragen hellere Farben, z. B. „Und morgen hat alles ein ander Gesicht“ und „Die Teufelsbraut“, ein Tiroler Peterlspiel (Verlogenheit der Welt). – Als Mensch und Dichter ein vom Schicksal karg bedachter Außenseiter, der nur seiner inneren Berufung folgte, arbeitete K., kein Form- und Wortkünstler, ohne Rücksicht auf Tagesmode oder Bühnenerfolg. Seine unbestechliche Wahrheitsliebe und die Schroffheit und schonungslose Art zu charakterisieren, fanden zunächst manche Gegner; so wurde z. B. der „Andre Hofer“, den der Herzog von Meiningen auf seiner Musterbühne uraufführte, in Österr. nach wenigen Aufführungen von der Bühne verbannt, wie der „Michel Gaißmayr“. Erst nach 1918 traten die Werke K.s, der neben Schönherr der bedeutendste Dramatiker Tirols ist, zumeist in der klass. Darstellung der Exl-Bühne ihren Siegeszug über die österr. und dt. Theater an. Die herbe Stoffwahl, der niederdrückende Ausgang seiner Sittenstücke und die derbe Sprache (eine verallgemeinerte Oberinntaler Mundart) haben eine weite Verbreitung dieser Meisterwerke alpenländ. Dramatik erschwert.

W.: Lyr. Fresken, 1888; Kulturkampf (Epos), 1890; Dramen: Um Haus und Hof, 1894; Michel Gaißmayr, 1899; Andre Hofer, 1902; Wieland der Schmied, 1910; Die Teufelsbraut, 1911; Bruder Ubaldus, 1918; Thassilo und Liutberga; Und morgen hat alles ein ander Gesicht (drei Komödien: Das Liebesmahlele, Der Honigkrug, Die Jungfernpräfektin), 1918; Das Eßkörbl (Komödie), 1919; Die letzte Nummer (satir.-humorist. Einakter); Ende (Tragödie); Die sieben Todsünden (sieben einaktige Tragödien, und zwar: Der Giggl, Der Naz, Die Eva, Der Gafleiner, Der Joch, Der Seastaller, Der Med) und Totentanz (Nachspiel), 1910–25; etc. Ges. Werke mit einer Selbstbiographie, hrsg. von der Adolf-Pichler-Gemeinde, 1933.
L.: Innsbrucker Nachr., 1920, n. 288, 290, 1935, n. 291, 292, 293, 1938, n. 3, 4; Tiroler Anzeiger 1920, n. 288, 290, 1935, n. 287, 289, 290, 1938, n. 3, 4, 6; Tiroler Tagesztg., 1958, n. 3, 1960, n. 292; Tiroler Nachr., 1960, n. 292; Dolomiten, 1951, n. 141, 1962, n. 280; F. Wagerer, F. K., Leben und Werk, Diss. Wien, 1947; H. Bator, Einleitung zum „Andre Hofer“ (Dt. Hausbücherei, Bd. 120), 1924, S. 5–15; Mitt. des DÖAV, 1936, 14 f., 1938, S. 31 f.; K. Paulin, Der Dramatiker der „Sieben Todsünden“, in: Tiroler Köpfe, 1940; Brümmer; Giebisch–Gugitz; Nagl–Zeidler–Castle, s. Reg.; Kosch, Das kath. Deutschland.
(Mayr)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 4 (Lfg. 18, 1968), S. 207f.
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