Kürnberger, Ferdinand (1821-1879), Publizist und Schriftsteller

Kürnberger Ferdinand, Publizist und Schriftsteller. * Wien, 3. 7. 1821; † München, 14. 10. 1879. Einfache Eltern ermöglichten dem talentierten Sohn das Stud. am Gymn., das er zweimal wechselte und zwanzigjährig ohne Reifezeugnis verließ; als Gasthörer der Univ. befriedigte ihn der Studienbetrieb nicht und so wurde er auch aus finanziellen Gründen zum ungemein fleißigen Autodidakten. Frühe lyr. und Prosaversuche blieben epigonal; Tagebücher und Aphorismen verrieten scharfen, sezierenden Geist. Begeistert von der demokrat. Idee, wendete sich K. 1848 der unabhängigen Journalistik zu, wurde u. a. Mitarbeiter der „Presse“, der „Constitutionellen Donauzeitung“, der „Wiener Zeitung“ und besonders der „Wiener Sonntagsblätter“ mit ihren Beilagen (Jg. 7). Der Zusammenbruch der Revolution zwang den als ehemaligen „Akademischen Legionär“, „Aufwiegler“, „Brandartikelschreiber“ von der Militärregierung Verfolgten, den man zudem irrtümlich der Mitschuld an der Ermordung Baillet-Latours (s. d.) bezichtigte, zur Flucht. In Dresden der Teilnahme an der Mairevolution verdächtigt, geriet er 1849 für neun Monate in Haft. Die wichtigste Quelle für seinen lauteren Charakter und zur folgenden Irrfahrt durch Deutschland mit den Hauptstationen Hamburg, Bremen, Frankfurt a. Main, sind die „Briefe eines politischen Flüchtlings“ (1920). 1852–56 in Frankfurt, hatte er dort mit dem das Auswandererfieber satir. beleuchtenden, verschlüsselten Lenau-Roman „Der Amerikamüde“ erstmals literar. Erfolg. In Wien war er bei seiner Heimkehr immer noch ein gesellschaftlich verfemter Mann; als unerschrockener Publizist, Essayist und Feuilletonist suchte er die öff. Meinung zu kritisieren, zu lenken, machte er die kleine Kunstform zur großen. 1860 ging er nach München, Coburg, Stuttgart, 1862 folgte der wieder finanziell Notleidende der Einladung eines Freundes nach Siebenbürgen und schrieb in einem fruchtbaren Jahr Novellen, Dramen und seinen weltanschaulich bedeutendsten Roman „Schloß der Frevel“. Wieder in München fand er Zugang zu Künstlerkreisen, ab 1865 lebte er abwechselnd in Graz und Wien. Dem geistig stets freien, nie parteipolit. gebundenen nun berühmten Journalisten öffneten sich in- und ausländ. Bll., darunter „National-Zeitung“, „Neue Freie Presse“, „Correspondent“, „Deutsche Zeitung“, „Berliner Börsenzeitung“, „Schlesische Presse“, „Gegenwart“ (Lindau), „Monatshefte“ (Westermann), „Neue Monatshefte“ (Blumenthal), „Deutsche Revue“ (Fleischer). K. wurde zum ersten kompetenten Kritiker Österr. und galt als „politisches Orakel seiner Zeit“. K. Kraus (s. d.), der wie K. zeitlebens nach einem „sauberen Journalismus“ rief, bewunderte ihn als sein direktes Vorbild. Um Kirche und Staat, das Grenzlanddeutschtum, Österr. und Deutschland, um Kunst und Literatur kreisen die Themen seiner engagierten Aufsätze, deren wichtigste in den „Siegelringen“ (Smlg. polit. und kirchlicher Feuilletons) und in den „Literarischen Herzenssachen“ („Reflexionen und Kritiken“) vorliegen. Von der Ausgabe „Gesammelte Werke“, 1910–14, erschien sonst nur noch „Der Amerikamüde“ und „Das Schloß der Frevel“ mit „Löwenblut“. Wesentlich sind die „Aufsätze, Literaturberichte und Gutachten“, die K. 1867 und 1868 in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der Schillerstiftung niederlegte. Sie geben einen kaum zu überbietenden Überblick über die zeitgenöss. Literatur.

W.: Catilina (Drama), 1855; Der Amerika-Müde (Roman, = Belletrist. Hausbibl., Bd. 2), 1855; Ausgewählte Novellen, 1857; Novellen, 3 Bde., 1861–62; Humoresken und Charakterbilder, 1862; Siegelringe (Feuilletons), hrsg. von O. E. Deutsch, 1874; Literar. Herzenssachen (Reflexionen und Kritiken), hrsg. von O. E. Deutsch, 1877; Novellen, 1878; Novellen, hrsg. von W. Lauser, 1893; Das Schloß der Frevel (Roman), 2 Bde., hrsg. von K. Rosner, 1904; 50 Feuilletons, hrsg. von J. Böck-Gnadenau, 1905; Dramen, 1907; Die dt. Schillerstiftung. Aufsätze, Literaturberr. und Gutachten, hrsg. von O. E. Deutsch, 1912; Ges. Werke, 5 Bde., hrsg. von O. E. Deutsch, 1910–14; Das denkende Herz (Auswahl), 1948; Spiegelungen (Auswahl), hrsg. von R. Holzer (= Stiasny-Bücherei, Bd. 68), 1960; etc. Tagebücher und unveröff. Dramen, Österr. Nationalbibl. und Stadtbibl., beide Wien; F. K.s Briefe an eine Freundin (1859–79), hrsg. von O. E. Deutsch (= Schriften des literar. Ver. in Wien 8), 1907; Briefe eines polit. Flüchtlings. hrsg. von O. E. Deutsch, 1920.
L.: N. Wr. Tagbl. vom 16. 10. 1879 und 2. 7. 1921; Neue Ill. Ztg. vom 26. 10. 1879; Wr. Ztg. vom 14. 10. 1889 (Abendpost) und 15. 5. 1928; N. Fr. Pr. vom 15. 1. 1910; Österr. Tagebuch vom 13. 7. 1946; Die Fackel, 1902, n. 124; Der Kunstwart vom 2. 9. 1910; Z. für die österr. Gymn., Jg. 61, 1910; J. Halpern, F. K. (1821–79). Ein österr. Schicksal, phil. Diss. Wien, 1928; R. Wessely, F. K.: Mensch und Kritiker, phil. Diss. Wien, 1948; W. Immergut, F. K. und Österr., phil. Diss. Wien, 1951; P. Müller, F. K.s Siegelringe, 1939; Brümmer; Giebisch–Gugitz; Giebisch–Pichler–Vancsa; Kosch; Nagl–Zeidler–Castle, Bd. 3, 4, s. Reg.; Wurzbach; N. Österr. Biogr., Bd. 6, 1929; Kosch, Das kath. Deutschland; ADB; L. Hevesi, Wr. Totentanz, 1899.
(Pablé)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 4 (Lfg. 19, 1968), S. 327f.
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